Traumferien steht im Bild unserer Sommerserie. In dieser Anekdote geht es zwar nicht gerade um Albtraumferien, aber um knallrote Köpfe, schummrig rote Beleuchtung und um einen blauäugigen Vater.
Die Geschichte spielt in den Fünfzigerjahren in Jugoslawien. Die autokratisch von Marschall Tito geführte Republik verstand sich als blockfreier Staat und gewährte den Bewohnern und der Wirtschaft mehr Freiraum als die anderen kommunistisch regierten Länder. So waren auch Ferien an der dalmatinischen Küste möglich. Zu den damals noch weitgehend unberührten Stränden reiste man meist als Gruppe.
Mein Vater hingegen war überzeugt, dass er und seine Familie auch als Individualtouristen den Weg dorthin finden würden. Das war vor 65 Jahren eine Herausforderung – auch für ihn, den Meister des Fahrplanlesens. Die Zugreise durch Österreich zur kroatischen Hafenstadt Rijeka erforderte, dass wir mehrmals umsteigen mussten. Alles klappte, auch die Weiterfahrt mit dem Küstenschiff nach Dubrovnik hatte er bereits gebucht. Ärgerlich war bloss, dass zwischen der Zugsankunft und dem Ablegen des Schiffes ein mehrstündiger Unterbruch zu überbrücken war.
Historische Aufnahme von Rijeka. Wo das Stundenhotel genau stand, ist nicht bekannt, ganz sicher aber in der Nähe des Hafens. Bild alte Postkarte
Nach der strapaziösen Bahnfahrt wollte der Vater seiner Gattin und dem zehnjährigen Buben eine Auszeit gönnen. Was er in einem deutschsprachigen Stadtführer gelesen hatte, schien ihm für diese mehrstündige Ruhepause genau richtig zu sein. Die Broschüre informierte den braven Pöstler aus dem Berner Jura, dass es in Rijeka gleich beim Hafen ein Stundenhotel gab. Erst als die kleine Reisegruppe samt Gepäck in der Rezeption des Rotlicht-Etablissements stand, wurde dem Vater klar, dass dies hier keine Familienherberge war.
Wie er die Fragen des kleinen Peter beantwortete, weiss ich nicht mehr.
Hier finden Sie die bereits veröffentlichten Beiträge zur Sommerserie der Seniorweb-Redaktion:
Bernadette Reichlin: Ferienträume – Traumferien
Eva Caflisch: Das Glück am Grab