Zuerst träumen wir von einer tollen Reise – solange, bis sich der Traum verwirklichen lässt. Aber jede Reise geht einmal zu Ende. Aus der Traum? Nein! Es bleiben Erinnerungen, Vergangenheit gewordene Träume.
Vor Jahrzehnten hatte ich einen solchen Traum: Ich wollte Amerika durchqueren, nicht nur einen Teil im Osten oder Westen besuchen, sondern so viel wie möglich sehen und erleben. Damals gab es eine Organisation, die durch etwas andere Ferien die Menschen einander näherbringen wollte. – Der 2. Weltkrieg war noch nicht so weit entfernt wie heute. Verständnis und Neugier junger Menschen füreinander zu wecken, galt als gesellschaftlich wichtiges Ziel.
Wir waren eine Gruppe von ca. 25 jungen Leuten aus Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden, die Holländer waren die pragmatischsten, und manchmal waren sie die Würze der Gruppe. Zwar sassen wir im gleichen Flugzeug, aber die meisten lernten sich erst in New York kennen. Aufregend, diese legendäre Metropole, von der ich so viel gelesen hatte. In den kommenden Wochen sahen wir viele der berühmten Sehenswürdigkeiten der USA. Ich will sie gar nicht aufzählen. Nur ein Beispiel: Den unendlich breiten Mississippi auf einer vergleichsweise schmalen Brücke zu überqueren, war ein Ereignis: Da begann Amerikas Westen.
Mississippi R-dam / commons.wikimedia.com
Unsere Reise war insofern vorgeplant, als wir uns auf drei Fahrzeuge verteilen sollten, die immer jemand aus der Gruppe selbst fahren musste, und dass unsere Übernachtungen im Voraus fixiert waren, oft in Hotels. An drei Orten waren wir zu Gastfamilien eingeladen, an Wochenenden. Diese Familien waren am Programm zur internationalen Verständigung beteiligt. – Erst im Nachhinein wurde mir klar, wie viel ich durch die Besuche bei Amerikanern zu Hause erfahren konnte.
Besonders spannend waren, in der Rückschau betrachtet, die kleinen Dinge, die Amerika ausmachen, die wir noch nicht kannten. Von McDonalds gab es damals in Europa meines Wissens nur eine einzige Filiale, und die hatte ich noch nie betreten. Auf der Fahrt durch New Mexico machten wir einen Mittagshalt im Garten einer Kneipe, einsam auf weiter Flur sah sie wie eine Baracke aus. Dort wurden wir vom Besitzer, einem Mexikaner, bewirtet, als wäre wir seine engsten Freunde. Wohlgemerkt, dort waren wir nicht angemeldet. – Damals gab es in Europa noch nicht in jedem besseren Supermarkt Zutaten für mexican food.
Die Polizei – Dein Freund und Helfer
Die unkomplizierte Art der Amerikaner und ihre Offenheit erlebten wir an vielen Orten – auch bei der Polizei, den cops, die ja nicht den besten Ruf haben, schon damals nicht: In Los Angeles fanden wir den Weg zum verabredeten Ort nicht – Handy gab’s nicht, aber eine Polizeistation war in der Nähe. Also fragten wir dort nach dem Weg. Weil wir sowieso zu früh dran waren, zeigten uns die Polizisten ihre gesamte Station und führten uns ganz stolz ihre neueste Errungenschaft vor, ein pistolenartiges Gerät, mit dem sie unbemerkt Geschwindigkeitsmessungen vornehmen konnten. – Welche Polizisten bei uns würden Touristen so etwas vorführen?
Santa Ana war der erste Halt, wo wir in mehreren Familien beherbergt wurden, immer drei oder vier aus unserer Gruppe zusammen. Selbstverständlich wurden wir sehr freundlich aufgenommen, am nächsten Tag fanden wir uns alle zu einem Ausflug zusammen, danach waren wir wieder in der Familie und der Abend kam. Niemand kochte, sondern jemand fuhr irgendwohin und kaufte eine Menge fast food, Bier und Süssgetränke. Was genau wir assen, weiss ich nicht mehr, aber wie wir assen und tranken: aus der Schachtel und aus der Dose, mit allen Familienmitgliedern im Garten des Hauses, mein Erstaunen darüber werde ich nie vergessen.
Familienleben ist anders
Später bei einem weiteren «Familienhalt» in Reno / Nevada, war ich mit einer Mitreisenden bei einer älteren Dame einquartiert, die in der Gemeinde gut vernetzt war. Daher wusste auch die Redaktion der Lokalzeitung von unserem Besuch und schickte eine Journalistin ins Haus, die uns beide interviewte und selbstverständlich auch unsere Gastgeberin erwähnte. Den Artikel mit Foto bekam ich später zugeschickt. Er ist inzwischen verschollen, nur die Erinnerung an diese für mich typische US-Bürgerin ist mir geblieben.
Gleich zu Beginn der Reise hatte mir eine Zufallsbegegnung ein high-light der Reise beschert: Ein New Yorker nahm ein paar von uns in eine Licht- und Klangschau mit, wie ich sie noch nie erlebt hatte: Wir lagen unter einer Kuppel, hörten verschiedene Musikstücke klassischer Art und sahen über uns eine Lichtschau, genau auf die Musik abgestimmt. Lichtkunst, die mich beeindruckte.
Coast Trail at Asilomar Beach / © 2019 California State Parks
Mein schönster Moment war ein frühmorgendlicher Spaziergang zum Pazifik. Nach einer sehr langen ermüdenden Fahrt waren wir spätabends in Asilomar / Pazific Grove angekommen. Ich war ins Bett gesunken und schlief, bis der Morgen graute. Neugierig ging ich über die Dünen und hatte den Ozean vor mir, sah die schier endlose Weite und spürte eine Resonanz in mir. Mir wurde bewusst, dass dieser grösste Ozean nicht immer friedlich daliegt, sondern in seinen Wassermassen eine unbändige Kraft steckt. So ursprünglich und unmittelbar war dieser Moment, dass er mich noch heute berührt, wenn ich daran denke.
Pacific Ocean at Asilomar Beach, Pacific Grove / © 2019 California State Parks (Foto: Brian Baer)
Obwohl inzwischen Jahrzehnte vergangen sind und ich noch einige andere Weltgegenden bereist habe, erinnere ich mich an diese Reise immer noch sehr gut. Die Ironie der Geschichte liegt darin, dass die wenigen kleinen Fotos verschwunden sind, ebenso wie andere souvenirs. Deshalb brauche ich als Illustration offizielle Fotos, die mir zeigen, dass es dort 2019 noch immer so aussieht wie damals, als ich durch die Dünen lief.
Hier finden Sie die bereits veröffentlichten Beiträge zur Sommerserie der Seniorweb-Redaktion:
Bernadette Reichlin: Ferienträume – Traumferien
Eva Caflisch: Das Glück am Grab
Peter Steiger: Familie Steigers Reise ins Rotlichtmilieu