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Archivarbeit aus Leidenschaft

Wer kennt nicht Geschichten in der eigenen Familie? Wenn man aber Genaueres wissen will, sind Nachforschungen in den Archiven unumgänglich. Seniorweb hat sich mit der Historikerin Karin Huser unterhalten. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Staatsarchiv des Kantons Zürich und Abteilungsleiterin der individuellen Kundendienste.

Seniorweb: Wie sind Sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Staatsarchiv des Kantons Zürich geworden?

Karin Huser: Die Frage, wie die Menschen früher gelebt haben und wie die Welt so geworden ist, wie sie heute ist, hat mich immer schon fasziniert. So fasste ich früh den Entschluss, einmal Geschichte zu studieren, und zwar insbesondere die Geschichte Osteuropas. Nach dem Studium absolvierte ich die Ringier Journalistenschule, denn mein Berufsziel war es, Auslandkorrespondentin zu werden, idealerweise in Moskau, obwohl zu dem Zeitpunkt der Eiserne Vorhang noch nicht gefallen war.

Haben Sie einen besonderen Bezug zu Osteuropa, dass dies Ihr Spezialgebiet geworden ist?

Das Interesse geht auf meine Kindheit zurück. Mein Vater kam aus einfachen Verhältnissen, war überzeugter Sozialdemokrat und interessierte sich besonders für Russland. Als in den 1970er-Jahren das österreichische Fernsehen einen Russisch-Sprachkurs anbot, nahmen mein Vater und ich an diesem Kurs teil und kritzelten eifrig kyrillische Schriftzeichen in unsere Notizhefte. Als sich dann an der Kantonsschule dank einer Französischlehrerin, die aus der DDR stammte, die Möglichkeit ergab, einen Russischkurs zu belegen, zögerte ich nicht lange, denn ich wollte einmal die russische Literatur im Original lesen. An der Uni habe ich dann im Hauptfach Geschichte, im Nebenfach slawische Sprachen gewählt.

Und sind Sie dann auch Auslandkorrespondentin geworden?

Anfangs der 90er-Jahre habe ich vier Jahre in Berlin gelebt. Es war Neuland, die Mauer war weg, und es war eine äusserst spannende Zeit. Ich habe damals als Freelancerin für mehrere Schweizer Zeitungen Berichte und Reportagen aus den neuen Bundesländern verfasst. Gleichzeitig habe ich meine Dissertation über die ostjüdische Zuwanderung nach Zürich 1880-1939 geschrieben; daraus wurde das Buch Schtetl an der Sihl. Die jüdische Geschichte hat mich immer besonders interessiert.

Gibt es in der Geschichte noch andere Themen, die Sie besonders interessieren?

Grundsätzlich interessiert mich die Geschichte der Frauen. Da haben wir nach wie vor einen grossen Nachholbedarf. An Themen und Fragestellungen fehlt es nicht; oftmals ist es aber nicht einfach, an historische Quellen zu frauenspezifischen Fragen zu kommen. Da Frauen ihrer traditionell zugeschriebenen Rolle gemäss primär für die Hausarbeit und Nachwuchserziehung zuständig waren und praktisch nur Frauen aus der Unterschicht als Tagelöhnerinnen und Industriearbeiterinnen einer Erwerbsarbeit nachgingen, haben sie viel weniger schriftliche Zeugnisse hinterlassen als Männer.

Karin Huser mit den vorbereiteten Archivalien für eine Benutzerin im Lesesaal

Wie sind Sie von der freischaffenden Forscherin zur Archivarbeit gekommen?

Nachdem ich einige Bücher publizierte hatte und als Forscherin mit Archiven in Deutschland, USA und Russland vertraut war, wollte ich die andere Seite, die Arbeit der Archivarinnen und Archivare, kennenlernen. An der Universität Bern absolvierte ich einen Masterstudiengang in Archiv- und Informationswissenschaft und hatte daneben ein kleines Pensum am Staatsarchiv Zürich, wo ich später eine Festanstellung im Kundendienst erhielt.

Meine Aufgabe im Staatsarchiv besteht darin, Forschende bei ihrer Suche nach historischen Dokumenten zu unterstützen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um akademische Forschung oder um Hobbyforscherinnen und -forscher handelt, die zum Beispiel ihrer eigenen Familiengeschichte oder der Geschichte ihres Hauses, in dem sie wohnen, nachgehen wollen.

Blick in den Lesesaal

Die meisten Unterlagen, die sich im Staatsarchiv befinden, sind zwar in einem Online-Archivkatalog verzeichnet, die Suche ist aber nicht ganz einfach. Die Aufgabe von mir und meinem Team ist es deshalb, die Forschenden bei der Suche zu unterstützen. Da geht es zuerst darum herauszufinden, welche Unterlagen jemand sucht, und an uns ist es dann, Hinweise zu geben, wo in unseren umfangreichen Archivbeständen sich allenfalls Akten zu dieser Frage finden könnten. Wir übernehmen selber keine Forschungsaufträge; aber wir helfen den Suchenden, auf die richtige Spur zu kommen. Oft geht es auch nur schon darum, das richtige Archiv zu finden, wo die gesuchten Unterlagen aufbewahrt werden.

Wie findet man heraus, welches das «richtige» Archiv für eine Recherche ist?

In den Staatsarchiven, von denen es in jedem Kanton eins gibt, werden Unterlagen der staatlichen Behörden und der Verwaltung sowie der kantonalen Einrichtungen wie Krankenhäuser, Schulen, und im Kanton Zürich zum Beispiel auch der Notariate, etc. überliefert. Als historisches Archiv bewahrt das Staatsarchiv Zürich auch Verwaltungsschriften aus der Zeit des Mittelalters, der Reformation und der Frühen Neuzeit auf.

Für das Aufbewahren von Unterlagen aus der Gemeindeverwaltung sind die Gemeindearchive, für jene der Bundesverwaltung das Bundesarchiv in Bern zuständig. Daneben gibt es auch noch viele themenspezifische Archive, wie zum Beispiel das Schweizerische Sozialarchiv in Zürich, das bundesweit Unterlagen zu gesellschaftlichen Organisationen und Bewegungen sucht, oder die Gosteli-Stiftung in Worblaufen, die spezifisch Unterlagen zur Frauenbewegung in der Schweiz aufbewahrt. Eine Übersicht der Archive in der Schweiz findet sich auf der Webseite des Vereins Schweizerische Archivar:innen. Auch gibt es ein schweizerisches Archivportal, das eine archivübergreifende Suche ermöglicht.

Blick in die Bibliothek

Ältere Personen interessieren sich vermehrt für ihre Familiengeschichte. Haben Sie für unsere Leserinnen und Leser Tipps für die Erarbeitung ihrer Familiengeschichte?

Für die Familienforschung sind die sogenannten Kirchenbücher oder Pfarrbücher wichtig. Der Pfarrer hat hier früher die Daten von Taufe, Ehe und Tod vermerkt. Seit 1876 ist das Zivilstandsamt zuständig für die Erhebung dieser Daten. Im Kanton Zürich werden diese Pfarrbücher im Staatsarchiv aufbewahrt. Zur Schonung der originalen Schriften kann man sie bei uns auf Mikrofilm einsehen. Wir arbeiten aber auch daran, diese wichtigen Quellen online zugänglich zu machen.

Anhand der Pfarrbücher kann man seine Vorfahren viele Jahrhunderte zurückverfolgen. Entscheidend für die Familienforschung ist der Bürgerort einer Person. Je nachdem, in welchem Kanton dieser liegt, wendet man sich als Erstes am besten an das zuständige Staatsarchiv. Die meisten Archive geben nützliche Recherchehinweise auf ihrer Webseite, so dass man sich gut für einen Archivbesuch vorbereiten kann.

Das Staatsarchiv des Kantons Zürich auf dem Gelände der Uni Zürich im Irchelpark

Wollen Sie unseren Leserinnen und Lesern sonst noch einen Tipp für den ersten Schritt ins Archiv mitgeben?

Wir bieten bei uns regelmässig öffentliche Führungen an, bei denen wir eine Auswahl von historischen Dokumenten zu einem bestimmten Thema präsentieren. So erhält man einen unverbindlichen Zugang zum Staatsarchiv und bekommt eine Idee, wie solche Akten aussehen und wie sie geordnet sind. Wir versuchen auch, den Interessierten die Angst zu nehmen, dass sie alte Dokumente nicht lesen können. Wir zeigen ihnen, wie man vorgehen kann, dies zu lernen. Es macht Freude und ist oftmals hochspannend, sich in einen Text einzulesen und sich so Stück für Stück an Vorkommnisse und Geschichten aus der Vergangenheit heranzutasten.

Fotos: rv
Staatsarchiv des Kantons Zürich, Winterthurerstrasse 170, 8057 Zürich

Siehe auch Buchbesprechung: Karin Huser, Ostwärts, wo der Horizont so endlos ist

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