Das Literaturmuseum Strauhof stellt zusammen mit der Stiftung Litafrika die Literaturszenen zweier Metropolen in Westafrika vor, Abidjan und Accra. Es ist der letzte Teil einer Trilogie, die den «Poesien eines Kontinents» gewidmet ist.
Regenwald und Vogelgezwitscher empfangen das Publikum. Im Hintergrund afrikanische Musik, Rhythmen, Trommeln, Gesang. Afrika ohne Musik ist undenkbar. Mit Videos und grossformatigen Farbfotografien bringt die Ausstellungsgestalterin Rahel Arnold die Atmosphäre Westafrikas nach Zürich. Den Literaturszenen von Abidjan (Côte d’Ivoire) und Accra (Ghana) ist je ein Raum gewidmet.
Blick in die Ausstellung
Der Gang durch die Ausstellung führt durch den Forêt du Banco, den Nationalpark mitten im Stadtgebiet von Abidjan. Er gilt als grüne Lunge und ist ein spiritueller Ort in Verbindung zu den Vorfahren. So erstaunt es nicht, dass der Parkwächter das Ausstellungsteam daran hinderte, mitten in diesem Wald eine Slam-Performance zu drehen, trotz offizieller Bewilligung. Er wachte über die Toten. Auch das Gedicht Souffles des senegalesischen Dichters Birago Diop (1906-1989) handelt von der Verbundenheit mit den Vorfahren und der Beseeltheit der Natur. Hier ein Ausschnitt aus dem Gedicht:
Die Toten sind nicht unter der Erde:
Sie sind im Baum der bebt,
Sie sind im Wald der seufzt,
Sie sind im Wasser das fliesst,
Sie sind im Wasser das schläft,
Sie sind in der Hütte, sie sind in der Menge:
Die Toten sind nicht tot.
Zur afrikanischen Literatur gehören nicht nur Bücher, sondern auch Slam, Comic, Storytelling und Tanz. So zeigt eine Video-Installation in Yopougon, im bevölkerungsreichsten Stadtteil von Abidjan, eine Coupé-Décalé, eine Tanzperformance der Gruppe Karismatik Project mit Gesang in Nouchi.
Blick in die Ausstellung
Nouchi ist die Sprache der Strasse in Abidjan. Sie findet zunehmend Eingang in die geschriebene Literatur, wie etwa im Gedichtband Polo kouman. Polo parle von Henri-Michel Yéré, der 1978 in Abidjan geboren, seit 2003 in Basel lebt. Sein erster Gedichtband in Nouchi handelt von der Aneignung des Wortes: «Denen, die behaupten, dass ich kein Französisch spreche, will ich sagen, dass mein Wort Mauern einreisst. Wer mich gehört hat, ist verwandelt.»
Ein weiteres Video stellt 1949books vor, die Bibliothèque des écritures féminines d’Afrique et du monde noir. Sie wurde 2020 von der Schriftstellerin und Übersetzerin Edwige Renée Dro im Yopougon-Ortsteil gegründet. Die Bibliothek ist ein Begegnungsort für Frauen und Kinder und bietet auf kleinem Raum Schreibresidenzen für Autorinnen sowie partizipative Programme im Quartier an. So tritt die Gruppe Pa’Rôles de Femmes als weibliche Griots auf und interpretiert Geschichten, die sowohl Kinder als auch Erwachsene in ihren Bann ziehen.
Die Gruppe «Pa’Rôles de Femmes» interpretiert Geschichten in der Bibliothek «1949books» im Yopougon-Quartier in Abidjan. Video Still
Der Name der Bibliothek 1949books geht auf den ivorischen Protestmarsch der Frauen gegen die damalige Kolonialverwaltung im Jahr 1949 zurück. Die Direktorin Edwige Renée Dro spricht im Video über ihre Mission, literarische Beiträge afrikanischer und Schwarzer Frauen der Diaspora zu fördern und die jüngere Generation zu inspirieren. Thema sind auch die politischen Grenzen und kulturellen Gemeinsamkeiten zwischen der Côte d’Ivoire und Ghana. Oder sie erzählt, wie sie Männer ermuntert, die Bibliothek zu besuchen, auch wenn diese feministisch ausgerichtet ist.
Schriftstellerin und Übersetzerin Edwige Renée Dro im Gespräch. Video Still
Der Comic Aya aus Yopougon von Marguerite Abouet (Text) und Clément Oubrerie (Zeichnung) spielt sich, wie der Titel sagt, ebenso im Stadtviertel Yopougon ab. Die Serie umfasst mittlerweile acht Bände und ist in der Côte d’Ivoire sowie in Frankreich ein grosser Erfolg. Marguerite Abouet schreibt über die 20-jährige Aya und ihre Freundinnen und Freunde und ihrem urbanen, modernen Leben in Afrika. Es geht um weibliche Rollenbilder, patriarchale Strukturen, das Familienleben zwischen Tradition und Moderne, ebenso um die Frage auswandern oder dableiben.
Feministische Comics «Aya aus Yopougon» von Marguerite Abouet (Text) und Clément Oubrerie (Zeichnung).
Der zweite Raum ist der Literaturszene in Accra (Ghana) gewidmet und stellt die Library Of Africa and The African Diaspora (LOATAD) vor. Diese wurde 2017 von Sylvia Arthur gegründet. Als Tochter ghanaischer Eltern wuchs sie in London auf, ist Schriftstellerin, Journalistin und Literaturkuratorin. Im Video-Porträt erzählt Sylvia Arthur von ihrer Initiative, ihre private Bibliothek, die immer grösser wurde, der Öffentlichkeit in Ghana zur Verfügung zu stellen.
Blick in die LOATAD Bibliothek in Accra, gegründet 2017 von Sylvia Arthur. Video Still
Heute setzt sich LOATAD für die Produktion, Bewahrung und Verbreitung von Wissen sowie für die Literaturen aus Afrika und der Diaspora ein. Als Netzwerk von Schwarzen Autorinnen und Autoren fördert LOATAD die lokale Verlagsszene, auch mit Schreibresidenzen. Vier Teilnehmende dieser Schreibwerkstatt geben in Videos Einblick in ihre Visionen. So wird einer der Wünsche, im eigenen Land Bücher zu publizieren, durch LOATAD weitgehend erfüllt, «denn zu oft entscheidet der Westen, was afrikanische Literaturen sind.»
Titelbild: Blick auf das Plateauviertel von Abidjan. Foto: © Abdallah Hussein, Wikimedia Commons. Alle Fotos und Video Stills: rv
Bis 8. September 2024
«litafrica – Abidjan & Accra. Zwei Städte und ihre Literaturszenen», 3. Teil der Ausstellungstrilogie «litafrica» 2022-2024, im Literaturmuseum Strauhof, Zürich
1.Teil: «Poesien eines Kontinents», s. Seniorweb «Gedichte bauen Brücken»
2.Teil: «Artistic Encounters», s. Seniorweb «Geschichten aus Afrika»
Parallel zu litafrika präsentiert das Literaturmuseum Strauhof die Ausstellung Hugo Loetscher – So wenig Buchstaben und so viel Welt, eine Auswahl seiner Reise-Essays und Reportagen, begleitet von einer Publikation mit zahlreichen Fotografien. Mehr Informationen siehe hier