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Der Surrealismus lebt

Einen späten Surrealisten zeigt das Kunstmuseum Olten in einer umfangreichen Schau: «Walter Grab. Ein Kind der Nacht. Wiederentdeckung eines Schweizer Surrealisten». – Unbedingt zu empfehlen.

Auch zu Lebzeiten war Walter Grab (1927 – 1989) nicht der Maler, von dem alle Welt begeistert sprach. In Zürich war er bekannt, einige Galerien zeigten seine Werke. Sammler und Sammlerinnen wurden auf diesen vielseitigen Künstler aufmerksam. Seine bemerkenswertesten Erfolge errang er wohl durch die Teilnahme an der 8. Biennale in São Paulo 1965, gemeinsam mit Meret Oppenheim, und bei verschiedenen Ausstellungen in Deutschland. Nun widmet das Kunstmuseum Olten ihm die erste umfassende Museumsausstellung. Wer diese besucht, sieht schnell: Walter Grab verdient auch heute noch unser Interesse.

Walter Grab: Alternative, 1951, Öl auf Holz, Leihgabe aus Privatsammlung Zürich

Walter Grab war Surrealist, er malte, schrieb Verse, schuf Collagen, kombinierte Bild und Text, insgesamt sind es ungefähr 1’300 Werke. Er war ein später Surrealist, denn bekanntlich datiert man den Beginn dieser Bewegung auf das Jahr 1924, als André Breton das Manifest des Surrealismus publizierte. Verschiedene diesjährige Ausstellungen beziehen sich darauf.

Walter Grab: «Surrealist wird man nicht, Surrealist ist man und merkt es eines Tages.» (1977)

Wir können den Surrealismus nicht auf eine eng definierte Epoche der Kunstgeschichte reduzieren. Wer sich mit dem Phänomen genauer befasst, erkennt, dass sich der Surrealismus in vielen Aspekten unseres Lebens ausdrückt. – Manchmal scheinen uns auch heute gesellschaftliche Phänomene eher surreal! – Seit den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts sind wir von den Erkenntnissen der Psychoanalyse und ebenso von Okkultismus und Parapsychologie beeinflusst, ob wir sie anerkennen oder nicht. Ich möchte behaupten, dass heutzutage mehr Surreales, als uns bewusst ist, nicht nur unseren Alltag durchzieht, sondern auch alle Bereiche der Kultur. Walter Grab, geboren drei Jahre nach der Proklamation des Surrealismus und vor 35 Jahren gestorben, berührt uns in seiner Kunst immer noch.

Walter Grab: Meine Villa am Meer, o. J., Mischtechnik / Collage auf Papier, 19 x 27 cm, Privatbesitz © André Grab

Kaum ins Museum eingetreten, ziehen folgende Worte des Künstlers unsere Aufmerksamkeit auf sich:

«Ich bin ein Kind der Nacht, umgeben von Weichheit und schüchterner,
oft aber auch drohender, unsicherer und stumpfer Leere.
Donner und Blitz haben an meiner Wiege Paten gestanden,
und man sagt, der Tag habe mich gezeugt.»

Es sind die feinen Gegensätze, die hier auf unwirkliche Weise zusammenkommen. In den Augen der Betrachterin liegt darin Grabs Kunst: Er verbindet unterschiedliche Dinge auf überraschende Weise, geometrische Linien oder Muster und zarte geschwungene Linien, die jede Ordnung in Frage stellen. Vieles bleibt rätselhaft. Aber diese Erkenntnis hat sich im Laufe der letzten 100 Jahre in unserem Denken immer mehr verankert: Wir scheinen mehr zu wissen – «alles» scheint erforschbar! -, zugleich ist nicht zu leugnen, dass wir vieles – mehr, als wir wünschten -, nicht wissen können. Der Surrealismus bringt diese Einsicht zu Tage, indem er das Absurde darstellt.

Walter Grab: Was die Nacht zusammenhält, 1954, Öl auf Holz, 38 x 45.5 cm Privatbesitz © André Grab

Künstler zu werden, war Walter Grab nicht in die Wiege gelegt. Erst nachdem er eine kaufmännische Lehre absolviert hatte, konnte er Malunterricht nehmen. 1948 unternahm er seine erste Reise nach Paris und begegnete dort André Breton und dem Surrealismus. Danach entschloss er sich definitiv, Künstler zu werden und nach Zürich zu ziehen. Er konnte Kontakt zur Galerie Palette aufnehmen, es war sein erster Schritt in die Zürcher Kunstszene. In dieser Galerie arbeitete er auch als Rahmenmacher – ein Brotjob, der fürs Überleben lange notwendig war.

Walter Grab: Nachtwundertier, 1964, Öl auf Leinwand, 40 x 26 cm, Privatbesitz © André Grab

1950 reiste Grab noch einmal nach Paris. Zurück in Zürich heiratete er Stephanie Lumpert, die ihm wohl oft den Rücken freihielt, aber neben dem schwierigen, oft impulsiven Ehemann kein leichtes Leben gehabt haben muss. 1952 wurde ihr Sohn André geboren. Dieser kümmerte sich nach dem Tod des Vaters intensiv um den Nachlass, schrieb seine Erinnerungen auf und wurde damit eine grosse Hilfe für alle, die sich mit Walter Grab und seinem Werk beschäftigten. Seit 1963 lebte die 3-köpfige Familie in einer kleinen Wohnung in Zürich-Wipkingen. Eines der drei Zimmer diente Grab als Atelier. Dort starb er 1989 nach langer, schwerer Krebserkrankung, vom Malen liess er bis zuletzt nicht ab.

Walter Grab: Rhapsody in Blue, 1952 Öl auf Holz, 65 x 53.6 cm Privatbesitz © André Grab

In intensiver gemeinsamer Arbeit haben Julia Schallberger und Katja Herlach diese Ausstellung sorgfältig zusammengestellt. Sie konnten sich auf Patrick Frey und sein Werkverzeichnis stützen, ebenso auf André Grab und unter anderem auf den Psychoanalytiker Christoph Kappeler, der selbst als Sammler Werke von Walter Grab besitzt.

Walter Grab: Porträt Salvador Dali, 1952, Mischtechnik auf Papier, 51 x 34 cm, Privatbesitz © André Grab

Die Ausstellung folgt den Themen des Künstlers. Wir sehen seine Entwicklung von den Anfängen, einem Selbstportrait, das er noch vor seiner ersten Parisreise gemalt hatte, innerhalb der verschiedenen Phasen seines Schaffens. Zu beachten sind die Titel der einzelnen Räume. Sie beziehen sich auf die Gemälde, wurden dort von Grab selbst notiert. Der Künstler mass ja dem Wort, dem Gedicht hohen Wert zu. Der mit den Jahren wechselnde Umgang mit Techniken und Materialien erschliesst sich uns in dieser Anordnung ebenfalls.

Die beiden Co-Kuratorinnen entschlossen sich zu einer klugen Erweiterung des Spektrums: Sie nahmen nicht nur einzelne Werke anderer Kunstschaffender auf, u.a. Meret Oppenheim oder den Berner Surrealisten Otto Tschumi, mit denen Grab bekannt war. Die Kuratorinnen baten daneben einige Künstlerinnen und Künstler der Gegenwart um ergänzende Arbeiten, u.a. die Baslerin Lex Vögtli, Francisco Sierra oder Daniel Bracher. Besonders anspielungsreich scheint der Besucherin «A bath in the horse’s body», geschaffen 2023 von Felicia Eisenreich: eine mit einem Rossfell verkleidete Badewanne. Wer würde da nicht an die «Pelztasse» denken. –  Wir erkennen ohne Zweifel: der Surrealismus lebt.

Walter Grab. Ein Kind der Nacht. Wiederentdeckung eines Schweizer Surrealisten.
Im Kunstmuseum Olten. Verlängert bis 6. April 2025
Beachten Sie das Veranstaltungsprogramm auf der Webseite des Museums.

Titelbild: Walter Grab: Die vier Grossen, 1961, Öl auf Holz, 49 x 60 cm, Privatbesitz © André Grab
Alle Bilder: Kunstmuseum Olten

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