Um die Geburt des Jesus von Nazareth gibt es manche Geheimnisse und viel Ungeklärtes. Trotzdem sind Symbole und Rituale in der Adventszeit und der Heiligen Nacht von grosser Bedeutung.
Wird man, aus was für Gründen immer, zur Untätigkeit gezwungen, kann es sein, dass Intuitionen, Emotionen, Symbole und manch Unwägbares vermehrt wieder bedeutend im Leben werden. Man könnte sagen, man gerate ins Grübeln. Doch das ist irgendwie zu einseitig. Zutreffender scheint der Begriff «sinnieren». Er enthält die Verknüpfungen mit «Sinn» und auch mit Sinnlichkeit. Er hat mit sich versenken und nachdenken, nachspüren zu tun. Ein wenig gemahnt er vielleicht gar an die Exerzitien des Ignatius von Loyola, nicht in derselben Strenge und Konsequenz allerdings, nur in Ansätzen: Sich vorstellen, wie es kommt, dass «das Volk, das im Finstern wandelt», ein grosses Licht erleben darf; wie im Leben des geknechteten, von den Römern beherrschten Volkes der Juden sich hoffnungsfroh der Erlöser einstellt, der dem Leiden ein Ende machen wird. Man stellt sich vor, jetzt konkret in der Advents- und Vorweihnachtszeit, wie sich der November mit seiner dichten Nebelfinsternis und der Dezember mit seinen in hellen Nächten unzähligen Sternen auf ein grosses Licht vorbereitet, das aus dem Dunkel hereinbrechen wird mit einem Strahlen, das nicht von dieser Welt ist. «Fürchtet euch nicht…!», singt es, «siehe, ich verkündige euch grosse Freude!» Und vielleicht freut man sich, wenn man dabei inne wird, dass man selber damit ja auch gemeint sein könnte.
Von Kind an hat die Familie, haben möglicherweise die Sonntagschule oder der Kindergarten, hat die christliche Gesellschaft diese Advents- und Weihnachtssymbolik mit ihren Ritualen geweckt und gepflegt. In christlichen Familien wachsen die Kinder damit auf, hören und sehen gebannt den Krippenspielen zu, spielen vielleicht selber mit. Der geschmückte Weihnachtsbaum – in meiner eigenen jungen Familie waren es nebst den Kerzen nicht Kugeln, sondern Weihnachtsgebäck und Äpfel, die ihn zierten – gehört zu dieser Symbolik von Christi Geburt. Der Adventskranz auch; und am Festtag selber läuft die Feier in allen christlichen Familien nach einem nur wenig verschiedenen Ritual ab.
Beim Sinnieren stellt sich auch mindestens das unbestimmte Gefühl, vielleicht sogar die Gewissheit ein, dass die Rituale sich mit der Zeit ein wenig gewandelt haben. Das Licht ist nicht mehr dasselbe. Es glimmert und glitzert auch von den Geschäftsauslagen. Heute ist anderes wichtig als zur Zeit, als wir jung waren. Und wir wissen auch, dass es Fakten gibt, die mit der Advents- und Weihnachtssymbolik eigentlich nichts zu schaffen haben. Wir erinnern uns: Es gab eine Zeit, da war die Erde eine Scheibe, unbeweglich, und die Sonne erhob sich im Osten und ging im Westen unter. Es war der Stand der Wissenschaft damals, und weil die Wissenschaft eng mit der Macht der Kirche verbunden war, galt jeder Zweifel an deren Wahrheit als Ketzerei. Bei Bert Brecht erscheint dem modern wissenschaftlich-faktisch denkenden Galilei der Kardinal, um mit dem Ketzer zu debattieren, ob es überhaupt sinnvoll für die Menschheit sei, dass solche Neuerungen akzeptiert und bekannt gemacht werden (Brecht, Leben des Galilei).
Heute ist man noch wissenschaftsgläubiger. Man denkt nicht im entferntesten daran, es könnte sein, dass in ein paar hundert Jahren die heute gesicherten Erkenntnisse längst als unzutreffend überholt gelten könnten. Es gehört darum auch ins Gebiet des Irrationalen, dass es gut wäre, würde man nicht nur an das gesicherte Sichtbare glauben, sondern auch daran, dass es Unsichtbares geben könnte in unserem Leben, das ebenso bedeutungsvoll und lebensfördernd wie das Sichtbare sein könnte. Man braucht deswegen nicht gerade zum Esoteriker oder Metaphysiker zu konvertieren; doch die Spiritualität kann als ebenso grosse Bedeutung für ein glückliches und erfülltes Leben wirken wie das Sichtbare.
Fast 40-jährig: Die Krippenszenerie, gebastelt und Jahr für Jahr gestaltet von Agnes Vollenweider
Deshalb ist das tradierte, ritualisierte Geschehen um Advent und Weihnachten legitim. Dass es so geworden ist, hat viele Gründe und Ursachen, die jetzt nicht untersucht werden sollen. Erstaunlich ist nur, dass das stärkste Symbol im Zusammenhang mit der Geburt des Jesus von Nazareth von Franz von Assisi stammt. Er hat den Stall mit der Krippe, mit Ochs und Esel, mit den Hirten und den drei Königen bildlich geschaffen und als Objekt für die weihnachtliche Kontemplation in die geistige Welt der Christen gebracht.
Geschrieben steht das im dieses Jahr erschienenen Bändchen Von wegen Heilige Nacht! Der grosse Faktencheck zur Weihnachtsgeschichte (160 Seiten). Eine ausserordentlich wertvolle Sammlung von Quellen zur heute gebräuchlichen Geschichte um die Geburt des Messias. Verblüffend, wie aus falsch verstandenen sprachlichen Besonderheiten, ungenauem historischem, kulturellem, klimatischem und geografischem Wissen in der Zeit, als die Evangelien und die apokryphen Schriften entstanden, der heute gebräuchliche Weihnachtsmythos entstehen konnte. Die Stall- und Krippenszene von Franz von Assisi hat dieser ganzen verwirrlichen Sache jedoch ein kontemplatives Bild, ein gültiges Symbol verliehen.
Diese Weihnachtsgeschichte hier ist mein Bekenntnis, dass auch das Unsichtbare, das faktisch Ungenaue, das Verwirrliche – dass auch Irrtum und sogar eine Art sanfter Manipulation uns nicht hindern sollte, die traditionellen Symbole, die eingewohnten Rituale emotional und spirituell mit unserem Sinnieren zu suchen und ihnen die Bedeutung abzugewinnen, die uns hilft, die Welt ungeachtet alles Faktischen – und vor allem des Bestürzenden und Beängstigenden darunter – zu bewältigen, mit Gewinn an seelischer Kraft. Sogar ungeachtet ob bekennend christlich oder nicht.
Simone Paganini, Claudia Paganini:
Von wegen Heilige Nacht!
ISBN 978-3-579-02397-7
Gütersloher Verlagshaus, 2020
Hier finden Sie bereits veröffentlichte Beiträge der Serie „Weihnachtsgeschichten“, verfasst von den Redaktionsmitgliedern:
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