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Expedition auf den Kilimandscharo

Wie das so bei Journalisten und Fotografen ist. Sie können nicht anders. Sie recherchieren und fotografieren auch in den Ferien, statt mit der Familie am Meer auf der faulen Haut zu liegen. Bei mir kommt die Erinnerung hoch, als ich im Jahre 1976 eine Expedition auf den Kilimandscharo leitete.


Mit Otto Hofstetter vor dem Kilimandscharo

Ich stehe total erschöpft auf dem schmalen Kraterrand des Kilimandscharo auf 5’900 Metern Höhe. Ein Schneesturm kommt auf. Die peitschenden Flocken kühlen das Gesicht und halten mich wach. Total am Ende sind an diesem 12. April 1976 um 12 Uhr mein Freund, der Malermeister Otto Hofstetter (26) aus Kriens LU, und sechs Träger, die beim Unternehmen «Ikarus» teilnehmen. Was noch keiner gewagt hat: Otto soll als erster Mensch mit einem Deltasegler vom höchsten Berg Afrikas  starten und damit einen Weltrekord aufstellen.

Nun liegen sie alle zusammengekrümmt im Schnee und schlafen. Die Anstrengung des Aufstiegs war zu gross. Noch nie haben die Träger soviel Material auf den höchsten Berg Afrikas gebuckelt.

 Vor dem Aufstieg. Ich orientiere die Träger.

Ich dachte, die Expedition darf kurz vor dem Ziel nicht scheitern. Zuviel haben wir durchgemacht. Ich muss wach bleiben, darf nicht einschlafen. Mit letzter Kraft öffne ich meinen Rucksack, hole die Utensilien heraus, schmelze mit dem Gaskocher Schnee und bereite eine Flädlisuppe zu. Mühsam flösse ich jedem die Suppe ein. Ottos Lebensgeister wachen wieder auf. Während er im Zeitlupentempo die Vorbereitungen für den Start trifft, fotografiere ich alles. Das Wetter spielt verrückt: Schnee, Regen, Wind, Stille, Sonnenschein und Nebel wechseln sich ab.

Otto stöhnt: «So etwas gibt es doch nicht. Ich kriege keine Luft». Und: «Jeden,  der sagt, was wir vollbracht hätten, sei keine Leistung, bringe ich um.»


Mit den Trägern auf dem Weg auf den Kili

Kommunikationsschwierigkeiten treten auf. Wir reden miteinander, ohne uns zu verstehen. Die Sätze müssen mehrmals wiederholt werden. Innert Sekunden verflüchtigt sich plötzlich der Nebel. Wir starren auf das endlos öde Hochplateau hinunter.

Die Expeditionsteilnehmer überqueren das Hochplateau (5000m) auf dem Weg zum Kilimandscharo

Langsam erholen wir uns. Vergessen sind die teuflischen Anstrengungen des Aufstiegs. Vergessen sind Hunger, Übelkeit, Atmungsschwierigkeiten, Schnee, Kälte und Erschöpfung. Hofstetter hört nur noch das wilde Pochen seines Herzens. Und er hat Angst. Angst, sein waghalsiger Flug könnte in letzter Minute misslingen. «Die Luft ist so dünn, ich kann kaum atmen», sagt er. Und er murmelt weiter: «Ich weiss nicht, woher ich nach dem 3-tägigen Aufstieg die Kraft für einen längeren Spurt hernehmen soll. Die Luft ist hier oben so dünn. Sollte ich nicht besser eine Piste bauen und mit den Firnski starten?»

Auf dem Hochplateau. Otto instruiert die Träger

Ich kann ihm die Entscheidung nicht abnehmen. Otto weiss das und gibt sich die Antwort selbst: «Ich habe keine Kraft dafür.» Er gibt sich einen Ruck: «Jetzt mache ich mich startbereit.» Er braucht  eine halbe Stunde, bis er die Haltegurten umgeschnallt hat.

Dreimal kontrolliert er, ob er alles bei sich hat: Kompass, Helm, Funkgerät und Ersatzbatterien, Notvorrat, Vitamine und Stärkungsmittel, Pass, Impfausweis, Daunenanzug, Rauchpatronen, Landkarten, Ersatzteile,  Messer und Schreibmaterial.

Die Träger weigern sich, den 20 Kilo schweren Delta weiter zu tragen. Mit einigen Dollar-Scheinen kann Otto sie überzeugen.

Weil  die Steppjacke zu dick ist, bindet er alles ans Delta-Gestell. Eine Überlegung, über die er in der Wildnis noch sehr froh sein soll! Er spürt Wind im Gesicht, doch die zur Kontrolle aufgestellte Schweizerfahne regt sich nicht.

Otto redet mit sich selber: «So kann ich doch nicht starten. Das Segel bewegt sich kaum. Da sacke ich doch völlig durch.» Er schnallt sich an. Endlos lang verstreichen die Sekunden. Mit dem ersten Windhauch mobilisiert der Abenteurer all seine Kräfte, pumpt die Lungen mit Sauerstoff voll und rennt los, 15 Meter über Schnee, Eis und Lavagestein. Dann hebt der Delta ab.


Geschafft! Gratulation auf dem Kraterrand des Kilimandscharo

Ich habe einem Träger meine Filmkamera erklärt und kurz vor dem Start in die Hand gedrückt. Als Otto schliesslich jauchzend wegfliegt, ist der Afrikaner so verblüfft, dass er die surrende Kamera in seinen Händen vergisst und mit offenem Mund dem Vogelmenschen nachstarrt. Das Flattern des Delta-Segels hört man noch lange. Die ersten 1000 Meter sinkt Otto, wie er es vorausberechnet hat. Die Träger und ich stehen am Kraterrand und sehen, wie das Fluggerät im Nebel verschwindet. Hoffentlich geht das gut aus, denke ich.


Otto Hofstetter macht sich für den Flug bereit und startet dann. Den Trägern flöste ich Flädlisuppe ein.

Otto meldet sich über den Funk «Wegen Wind und Nebel musste ich den Kurs ändern. Doch jetzt sehe ich etwas.» Später: «Ein  Haus ist in Sicht…, nein, es ist kein Haus…Es ist ein Stein… jetzt fliege ich über einen Pass… Überall nur Urwald… ich weiss nicht, wo ich bin.» Und schliesslich: «Ich bin gelandet!» Was er noch nicht weiss: Er ist mitten in der Einöde, mehr als 80 km vom geplanten Landeplatz entfernt. Dass der lebenswichtige Funkkontakt noch funktioniert, ist ein glücklicher Zufall. Sein Weg zurück wird eine lange einsame Odyssee.

Ich treibe die Träger zur Eile an. Die noch herumliegenden Utensilien werden eingepackt. Die dünne Luft macht mir immer noch zu schaffen. Wir haben einen dreitägigen Abstieg vor uns. Jeder Schritt in die Tiefe bringt mehr Luft in die Lunge. Ich japse bei jedem Schritt förmlich wie ein Fisch.

Beim Abstieg habe ich genug Zeit, die Expedition im Geist Revue passieren zu lassen.

Das Deltafliegen ist relativ neu. Otto Hofstetter ist einer der Pioniere, der sich voll dieser neuen Sportart verschrieben hat. Mehrmals habe ich ihn bei seinen Flügen von Helikoptern aus verfolgt und journalistisch für BLICK begleitet. Eines Tages weihte er mich in sein grösstes Abenteuer ein. «Ich will als erster Mensch vom Kilimandscharo starten. Kommst du mit?»

Wir wurden sofort handelseinig. Innert kurzer Zeit wurde das Team gebildet: zwei  Funkspezialisten, Hansjörg Schindler (27) und der Afrikakenner Heinz Mondin (42) sollten das Verbindungsnetz aufbauen. Über ein Kehlkopfmikrophon würde Hofstetter mit uns in Verbindung sein. Ich sollte den Start von einem Flugzeug aus fotografieren.

Otto dachte an alles: Leuchtraketen und ein aufblasbarer Ballon sollten uns signalisieren, falls er in unwegsames Gebiet geraten sollte. Eine Pistole sollte ihn schützen, falls er mitten in einem Rudel Löwen landen sollte. Von den fliegerischen Qualitäten waren Fachleute überzeugt. Fritz Bigler, Delta-Experte des Eidgenössischen Luftamtes in Bern, sagte:«Hofstetter ist ein guter Pilot und hat alle Chancen, dass ihm der Weltrekordflug vom Kilimandscharo gelingt. Ich wünsche ihm viel Glück!»

Die beiden Funkspezialisten haben keine Lust mehr, bleiben in Nairobi. Und so muss ich Otto auf den Kili begleiten. Die Erfahrungen als Gebirgsfüsilier in der Schweizer Armee erleichtern mir die Entscheidung.

Von den geplanten drei Weltrekorden – erster Start vom Kili, weitester Flug und grösste Höhendifferenz – blieb nur einer: Der erste Mensch, der mit einem Delta vom Kili startet. Otto musste den Delta auf der Hochebene zurücklassen und erreichte uns nach drei Tagen. Im Hotel werden wir überschwänglich begrüsst. Müde und glücklich fallen wir in einen tiefen Schlaf.

Anderntags  fahren wir wieder zum Park-Tor, um  uns nach dem Delta zu erkundigen. Unsere Gesichter sind wegen der starken Sonneneinstrahlung aufgedunsen. Da torkeln die Träger betrunken im Hof umher und begiessen mit den Einheimischen die Expedition. Wir stehen recht dumm da, als wir merken, dass sie sich mehr freuen als wir.

Am Freitag erfahren wir, dass der Delta im Dickicht gefunden wurde. Chauffeur Muhamed holt ihn. Am Abend organisiert Tanzanite-Manager Suresh Nathwani ein Bankett für «seine» weissen Helden. Wir prosten uns mit Champagner zu und fliegen einen Tag später zurück in die Schweiz, wo wir auf dem Flughafen Kloten von einer grossen  Anhängerschar mit Kuhglockengeläut begrüsst werden. Der Delta «Ikarus» bekommt in der Lufthalle des Verkehrshauses Luzern für einige Jahre einen Ehrenplatz. Otto Hofstetter stürzt Jahre später im Elsass mit einem motorisierten Hängegleiter tödlich ab.

Fotos: Josef Ritler

Hier finden Sie die bereits veröffentlichten Beiträge zur Sommerserie der Seniorweb-Redaktion:

Bernadette Reichlin: Ferienträume – Traumferien
Eva Caflisch: Das Glück am Grab
Peter Steiger: Familie Steigers Reise ins Rotlichtmilieu
Maja Petzold: Erst Traum, dann Erinnerung

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