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Zu Besuch bei Isabelle Knobel

Weshalb wird eine junge Frau Pfarrerin der protestantischen bernischen Landeskirche? Was denkt sie über die Corona-Pandemie und die Spaltung der Gesellschaft? Soll sich die Kirche in die Politik einmischen? Ein Gespräch mit der erst 26jährigen Isabelle Knobel aus dem Berner Oberland.

Weshalb publiziert Seniorweb fast nur Porträts von älteren Menschen, fragte mich unlängst eine Bekannte. Eigentlich hat sie recht. Warum nicht mal zu Besuch zu einer Vertreterin der ganz jungen Generation, die bereits Verantwortung für die Gesellschaft übernommen hat? Isabelle Knobel wohnt in Kandergrund, im Berner Oberland, in einem historischen Holzhaus, das die Jahrzahl 1829 trägt. Dort hat sie sich mit ihrem Lebenspartner und einer Katze in einer modernen Wohnung heimelig eingerichtet.

Per Gleitschirm die Welt von oben sehen. Foto privat.

Trotz Arbeitsort Emmental und Studienort Bern bleibt Pfarrerin Knobel so mit dem Kandertal verbunden. Ihr wichtigstes Hobby ist das Gleitschirmfliegen. Bei schönem Wetter hebt sie von der Mäggissere, vom Niesen oder im Winter von der Tschenten ob Adelboden ab. Frische Luft schnuppern, die Sonne spüren, die Welt aus Distanz, von oben sehen, gehört auch zur Arbeit einer Pfarrerin. Daneben spielt sie in Frutigen Volley- und Beachvolleyball und seit einem Jahr Gitarre. Ihr Erstinstrument war das Klavier, das zu Hause vor allem von ihrem Lebenspartner benutzt wird. Dessen Musik, Old Jazz, Swing, Blues und Rock, mag die Pfarrerin sehr. Selbstverständlich hört sie ab und zu auch klassische Musik von Bach bis Vivaldi.

Eine geborene Frutigländerin

Geboren und aufgewachsen ist die junge Frutigländerin in Kandergrund zusammen mit einem älteren Bruder und einer jüngeren Schwester. Dort ging sie in die Primarschule, was ihr nicht immer leicht fiel. Die Zeit in der Oberstufe in Frutigen war dann einfacher.

Zusammen mit der Familie ging Isabelle Knobel als Kind ab und zu in den Gottesdienst, nicht jeden Sonntag, aber immer am Weihnachtstag. Die Stimmung in der Kirche, der Kirchenraum, das Fremde faszinierten sie. Zu einem Schlüsselerlebnis wurde das Konfirmationsjahr: Dank der damaligen Pfarrerin von Kandersteg, Melanie Pollmeier, fand Isabelle Knobel Gefallen an biblischen Texten. Am Konfirmationsgottesdienst durfte sie über das Thema «Freiheit» reden. Von der Pfarrerin wurde sie darauf gefragt: «Möchtest Du nicht Theologie studieren?» Doch die junge Gymnasiastin hatte vorerst andere Wunschfächer im Kopf.

Entspannung beim Gitarrenspiel. Foto privat.

Ein Studium der Germanistik wurde erwogen, dann auch Geschichte und Philosophie. Und schliesslich spielte die junge Frau sogar mit dem Gedanken, die Pädagogische Hochschule (PHS) zu absolvieren und Lehrerin zu werden. Doch all diese Fachrichtungen schienen ihr eindimensional. «Theologie umfasst alles, ist viel breiter», erzählt die Kandertalerin bei einem Kaffee und lässt dazu ihre Hände sprechen. Isabelle Knobel wirkt aufgestellt, witzig, stets überlegt und zeigt im Gespräch mit dem Medienmann überhaupt keine Scheu.

Während des Studiums nahm sie Sprechunterricht und profitierte von einem «Präsenz-Coaching». Während einem neunmonatigen Praktikum bei der «Reformierten Kirche Bern-Jura-Solothurn» sammelte sie Erfahrungen in der Entwicklungszusammenarbeit und Ökumene. Ihr Studium schloss sie mit einem vierzehnmonatigen Vikariat in der Heiliggeist – Kirche in Bern ab. Die dortige Pfarrerin, Andrea Kindler Broder, beeindruckte sie sehr. Noch zögert sie aber, Pfarrerin zu ihrem Hauptberuf zu machen.

In der Kirchgemeinde Walkringen hat de 26jährige ihre erste Stelle gefunde. Foto: Webseite der Kirchgemeinde.

Doch dann kam die Anfrage einer Kollegin, ob sie sich ein Job-Sharing in der Emmentaler Kirchgemeinde Walkringen vorstellen könne. Isabelle Knobel sagte zu und hat seither ein 20-Prozent-Pensum. Ende Oktober fand die Ordination im Berner Münster statt.

«Diakonie und Macht» als Dissertations-Thema

«Hauptberuflich» ist sie an der Universität Bern geblieben und schreibt eine Dissertation zum spannenden Thema «Diakonie und Macht». «Der Dienst an Menschen, die Unterstützung brauchen, das solidarische Handeln steht für mich im Zentrum des Glaubens», erklärt die junge Frau die Wahl ihres Diss-Themas. So pendelt sie derzeit zwischen Kandergrund, Bern und Walkringen hin und her. An ihrem neuen Wirkungswort verfügt sie über ein Büro und eine einfache Schlafgelegenheit.

Neben und mit Glaubensgemeinschaften

Und was denkt die frisch ausgebildete Pfarrerin über die zahlreichen Mitmenschen im Tal, die nicht der reformierten Amtskirche, sondern einer Glaubensgemeinschaft angehören? Mit den Unterschieden wurde sie bereits in der Oberstufe in Frutigen konfrontiert, als sie mit Jugendlichen aus entsprechenden Familien die Schulbank drückte. Wegen deren konservativen Haltung war Isabelle kritisch zu den Gruppierungen eingestellt. «Ich hatte Mühe mit der häufig wörtlichen Auslegung der Bibel und mit dem Gottesbild der Freikirchen, das mir persönlich als zu eng vorkam.»

Pfarrerin Knobel an ihrem Bürotisch. Foto privat.

In der Zwischenzeit hat sich die Theologin eine differenziertere Betrachtung zu eigen gemacht. Das Gespräch zu suchen, sei nicht schlecht, meint sie und ergänzt: «Was zählt, ist das Zwischenmenschliche, und auch in den Freikirchen gibt es Bewegungen nach vorne.» Gemeinsame Gottesdienste sind für sie, die sich Inklusion auf die Fahnen geschrieben hat, eine Möglichkeit, sich zu begegnen. «Wir müssen sowohl zusammen als auch getrennt gehen können und das Gemeinsame wie das Trennende respektieren.» Isabelle Knobel liebt die Text-Exegese und stellt die Bibel in ihren zeitgeschichtlichen und in einen aktuellen Kontext. «Die zeitgeschichtliche Einbettung erlaubt Textinterpretationen über das wörtliche Verstehen hinaus – bei manchen Freikirchen scheint ihr dies teilweise zu kurz zu kommen»

Zusammen über Corona-Konsequenzen reden

Inklusion ist ihre Antwort auch, wenn sie nach ihrer Meinung zur Corona-Krise gefragt wird. Isabelle Knobel hat Mühe, wenn sich Menschen wegen ihrer unterschiedlichen Auffassungen nur noch anschnauzen und nicht mehr ernsthaft miteinander reden. Sie versteht die Ängste, den Frust sowohl der Massnahmengegner als auch der Impfbefürworter. «Alle sind sie Menschen, die man aufgrund ihrer unterschiedlichen Meinungen nicht einfach schubladisieren darf,» sagt sie und wirft mit der rechten Hand ihr blondes Haar elegant zurück.

Soll sich die Landeskirche in die Politik einmischen, wie sie es im Abstimmungskampf um die Konzernverantwortungs-Initiative getan hat? «Ja, unbedingt, aber nicht bei jedem Thema oder zu jeder Abstimmung», findet sie. Zu Menschenrechtsverletzungen, Fürsorge- und Sozialhilfefragen müsse sich die offizielle Kirche äussern, denn diese Themen beträfen ihre Kernkompetenz, den Menschen. Bei anderen Themen sei Zurückhaltung gefragt.

Mit alten Klichées aufräumen

Die Medien haben für die frisch gebackene Pfarrerin einen Bildungsauftrag, zu denen auch religiöse Fragen gehören. Deshalb schätzt sie es, regelmässig Berichte über kirchliche Projekte, Aktionen oder Veranstaltungen in ihrer Lokalzeitung zu lesen. «Nicht nur Pfarrerwahlen oder kirchliche Festakte, sondern auch Anlässe, die ausserhalb des Kirchenraums stattfinden, müssen in der Zeitung Platz haben.» Das altertümliche Bild vom Pfarrer mit einer Hornbrille, abgelichtet zwischen Taufstein und leeren Kirchenbänken, gehört für die junge Frutigländerin der Vergangenheit an.

Pfarrerin Isabelle Knobel.

Mit diesem Klichée sollten die Medien endlich aufräumen. Die Kirche sei mehr als Predigt, Orgelspiel und Gebet, sagt sie. In der Tat: Heute studieren im Kanton Bern deutlich mehr Frauen als früher Theologie und wagen den Schritt in eine Kirchgemeinde. Da scheint eine neue Generation von modernen Pfarrerinnen und Pfarrern heranzuwachsen. Isabelle Knobel aus Kandergrund ist dafür ein leuchtendes Beispiel.

Titelbild: Isabelle Knobel vor der Berner Heiliggeistkirche, wo sie ein 14monatiges Vikariat absolvierte. Foto Peter Schibli

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