StartseiteMagazinGesellschaftVerboten, verfemt, vielleicht gerettet

Verboten, verfemt, vielleicht gerettet

«Zerrissene Moderne» und «Der Sammler Curt Glaser. Vom Verfechter der Moderne zum Verfolgten», zwei Ausstellungen im Kunstmuseum Basel dokumentieren den zynischen Umgang der Nationalsozialisten mit moderner Kunst.

Als der heutige Hauptbau des Basler Kunstmuseums 1936 eingeweiht wurde, freuten sich die Kunstliebhaberinnen und -liebhaber über die grosszügigen Flächen für die Alten Meister oder für den Basler Symbolisten Arnold Böcklin. Jedoch Werke des 20. Jahrhunderts fehlten.

Beiden Basler Kuratoren, Otto Fischer und Georg Schmidt, war die Präsentation zeitgenössischer Kunst ein grosses Anliegen. Otto Fischer hatte schon, bevor er 1927 nach Basel kam, Skandale ausgelöst, als er in Stuttgart moderne Werke kaufen wollte. Georg Schmidt, seit 1939 Chef des Basler Kunstmuseums, hatte vorher als Journalist mit kritischem Auge beobachtet, was im NS-Deutschland mit neuer Kunst geschah. – In konservativen Kreisen gab es nicht überall Begeisterung für moderne, ungegenständliche Kunst, aber «entartet» bekam bald einen schaurigen Klang.

Ausstellungsansicht: Zerrissene Moderne. Die Basler Ankäufe «entarteter» Kunst, Kunstmuseum Basel | Neubau Foto: Julian Salinas

Das Kunstmuseum Basel zeigt gegenwärtig im Neubau (eröffnet 2016) zwei Ausstellungen: Zerrissene Moderne. Die Basler Ankäufe «entarteter» Kunst geht auf die historischen Ereignisse ein: Das Vorgehen der Nationalsozialisten gegen in ihren Augen missliebige Kunstwerke, gegen jüdische und sozialistische Künstlerinnen und Künstler. Dargestellt wird auch, auf welchem Weg und mit welcher Motivation die Basler Verantwortlichen vorgingen, solche von der Vernichtung bedrohte Kunst für ihr Museum zu erwerben.

Curt Glaser – einst weit herum geschätzt, dann vergessen

Eine weitere Ausstellung Der Sammler Curt Glaser. Vom Verfechter der Moderne zum Verfolgten dokumentiert den Lebensweg eines aussergewöhnlichen Kunstkenners, -sammlers und Direktors der Berliner Kunstbibliothek, Curt Glaser und seiner Frau Elsa. Viele Blätter aus seiner Sammlung sind zu sehen. Hier erfahren wir, was einem Betroffenen seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten widerfuhr und wie er versuchte, möglichst viele Werke aus seiner Sammlung in Sicherheit zu bringen.

Max Beckmann, Bildnis Curt Glaser. 1929, Öl auf Leinwand. Kunstmuseum Basel, The Collection of Curt Glaser

Erst auf das zweite Begehren der Erbengemeinschaft Glaser ging die Basler Regierung ein und stimmte einer Lösung zu, die auf den internationalen Prinzipien beruhte, die 1998 in Washington als «Gerechte und faire Lösung» definiert worden waren. Der Vertrag von 2020 sieht vor, in einer Ausstellung Glasers Schicksal und das seiner Sammlung zu präsentieren. Damit offenbaren beide Ausstellungen zwei wichtige Aspekte des Umgangs mit Kunst in der Zeit des NS-Regimes.
Einem dritten Aspekt widmet sich das Berner Kunstmuseum: dem Wirken des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, den Curt Glaser und die beiden Basler Museumsdirektoren kannten.

Curt Glaser (1879-1942) hatte in Berlin Medizin und anschliessend Kunstgeschichte studiert und in beiden Fächern promoviert. Als Arzt war er nur während des 1. Weltkriegs tätig. Als Kunsthistoriker arbeitete er am Kupferstichkabinett Berlin. 1924 wurde er zum Direktor der Staatlichen Kunstbibliothek ernannt – einer damals renommierten Institution.

Edvard Munch, Damenbildnis (Elsa Glaser). 1913, Öl auf Leinwand. Kunstmuseum Basel, The Collection of Curt Glaser

1903 hatte er Elsa Kolker (1879-1932) geheiratet – die gemeinsame Liebe zur Kunst verband das Paar. Beide unterhielten enge Beziehungen zu Künstlern wie Matisse, Beckmann und Kirchner; besonders befreundet waren sie mit Edvard Munch. Im regelmässigen Montagssalon der Glasers trafen sich Kunstfreunde und -freundinnen ebenso wie Kunstschaffende und Kunstkritiker.

Kurator, Sammler und Künstlerfreund

Die bedeutende Kunstsammlung der Glasers umfasste moderne Werke, aber auch alte Meister, Werke aus der Antike und aussereuropäische Kunst. Kaum jemand in Berlin war in Kunst- und Kulturkreisen so gut vernetzt wie Curt Glaser. Umso erschütternder muss es für ihn gewesen sein, als seine Existenz in Trümmer ging. Zuerst starb seine Frau Elsa unerwartet 1932. Dann verlor er mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten sein Amt und musste auch seine grosse, repräsentative Wohnung aufgeben. Bereits Mitte Mai 1933 verkaufte Glaser den grössten Teil seiner Kunstsammlung und seines wertvollen Mobiliars.

Lovis Corinth, Walchensee. 1919; Aquarell. © Hamburger Kunsthalle / bpk, Foto: Christoph Irrgang

Im Sommer 1933 emigrierte Curt Glaser mit seiner zweiten Frau zuerst ins Tessin. Einige Gemälde von Munch und 14 Umzugskisten konnte er mitnehmen. Aber wirklich Fuss fassen konnten die Glasers nicht mehr. So mussten weitere wertvolle Kunstwerke verkauft werden. 1941 emigrierte das Ehepaar nach Amerika. Curt Glaser starb 1942 in Lake Placid, N.Y.

Das Basler Kunstmuseum zeigt nun eine Auswahl grafischer Werke, die das Basler Kupferstichkabinett schon 1933 erworben hatte, ausserdem zahlreiche Gemälde, die als Leihgaben aus aller Welt erstmals wieder im Namen ihres früheren Besitzerehepaars nebeneinander hängen. Viele Dokumente, Fotos, Briefe zeichnen Glasers Lebensweg nach und zeugen von seinem Engagement und Sachverstand für zeitgenössische Kunst. Dass Glaser auch ein ausgezeichneter Kenner asiatischer Kunst war, muss an diesem Ort ausser Acht gelassen werden.

Lasar Segal, Die ewigen Wanderer. 1919; Öl auf Leinwand Museu Lasar Segall, São Paulo Foto: © Jorge Bastos

Was ist moderne Kunst?

Die Schwesterausstellung Zerrissene Moderne. Die Basler Ankäufe «entarteter» Kunst geht der Frage nach, wie grosse Teile der modernen Kunst von den Nationalsozialisten diffamiert wurden. In neun Stationen folgen wir der Geschichte der Kunstwerke. Es gab nicht nur die Werke, die in der berüchtigten Ausstellung 1937 gezeigt wurden, es gab auch viele junge Künstler, denen durch die Verbote der weitere Schaffensweg verboten wurde und die deshalb vergessen wurden. Andere Kunstwerke wurden verkauft, sofern sich die Nationalsozialisten davon einen Gewinn versprachen. «Internationale Verwertbarkeit» war der zynische NS-Begriff. Dafür wurde 1939 in Luzern bei Theodor Fischer eine Auktion durchgeführt, wo 125 Werke versteigert wurden.

Georg Schmidt, damals neuer Museumsdirektor in Basel, hatte schon zuvor in Berlin sondiert, was sich als Ankauf für Basel eignete. – Er hatte dort «herrliche Werke» gesehen, wie er notierte. Für 50’000 Franken konnte er in Luzern acht Bilder ersteigern. Von seinem Besuch in Berlin, dem NS-Depot für «entartete» Kunst, konnte Georg Schmidt in der Folge noch 13 Werke für Basel ankaufen.

Oskar Schlemmer, Frauentreppe. 1925; Öl auf Leinwand. Kunstmuseum Basel, mit einem Sonderkredit der Basler Regierung erworben. Foto © Martin P. Bühler

Tauziehen in Basel: Kaufen oder nicht?

So spannend es für Schmidt gewesen sein musste, die Werke von vielen bekannten und hervorragenden Künstlern und Künstlerinnen anschauen zu können, so unangenehm empfand er die Situation: Er notierte, dass ihn ein mulmiges Gefühl überkam angesichts der Zahl von Kunstwerken, deren Schicksal im damaligen Moment ungewiss war. Seine Bemühungen in Berlin waren in vielerlei Hinsicht heikel: Von den Basler Verantwortlichen hatte er nur 50’000 Fr. zur Verfügung erhalten. Er wollte so viele Werke wie möglich retten, d.h. kaufen. Da er sein Amt am Kunstmuseum gerade erst angetreten hatte, befand er sich noch in der Probezeit und war gehalten, innerhalb der Richtlinien zu handeln.

Die beiden gegenwärtigen Ausstellungen im Basler Kunstmuseum, ebenso wie die Bilanzschau über das Gurlitt-Erbe in Bern befassen sich mit Aspekten des gleichen Themas: mit der Anerkennung von Kunst, die heute die Bezeichnung Klassische Moderne trägt, und mit dem menschenwürdigen Umgang mit denen, die diese Kunst geschaffen haben – auch 77 Jahre nach dem Ende des NS-Regimes herrscht noch nicht überall Klarheit. «Gerechte und faire Lösungen» sind immer noch gefragt.

Zerrissene Moderne. Die Basler Ankäufe «entarteter» Kunst. Bis 19. Februar 2023
und Der Sammler Curt Glaser. Vom Verfechter der Moderne zu Verfolgten. Bis 12. Februar 2023 im Kunstmuseum Basel / Neubau

Zu beiden Ausstellungen sind umfangreiche Kataloge erschienen:
Zerrissene Moderne ISBN 978-3-7757-5221-3
Der Sammler Curt Glaser  ISBN 978-3-422-98876-7

Seniorweb berichtete über «Gurlitt. Eine Bilanz» im Kunstmuseum Bern (bis 15. Januar 2023)

Titelbild:  Franz Marc, Tierschicksale (Die Bäume zeigten ihre Ringe, die Tiere ihre Adern), 1913; Öl auf Leinwand. Kunstmuseum Basel, mit einem Sonderkredit der Basler Regierung erworben. Foto © Jonas Hänggi

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