Fremder im Dorf

Das Aargauer Kunsthaus thematisiert mit «Stranger in the Village» den Rassismus im Spiegel des Schwarzen Schriftstellers James Baldwin. Die Gruppenausstellung präsentiert Werke von zeitgenössischen Kunstschaffenden, die sich mit der Frage von Zugehörigkeit und Ausgrenzung auseinandersetzen.

James Baldwin (1924-1987) gehört zu den bedeutendsten US-amerikanischen Schriftstellern. Als Kind war er Dauergast in den Leihbibliotheken New Yorks. Weil er in den USA den Rassismus nicht mehr ertrug, reiste er 1948 nach Frankreich und arbeitete dort als Schriftsteller. Er bekannte sich offen zu seiner Homosexualität. Viele seiner Bücher behandeln Themen wie Rassismus, Sexualität und Identität. Im Alter von 63 Jahren starb er in Saint-Paul de Vence.

Sasha Huber, «The Firsts – James Baldwin (1924-1987)», Leukerbad 2018. In diesem heute noch bestehenden Chalet verbrachte Baldwin den Winter 1951. Baldwins Porträt von Sasha Huber ist nicht gemalt, sondern aus Metallklammern hergestellt.

Dank einem Freund konnte Baldwin den Winter 1951 in einem Chalet in Leukerbad verbringen, um hier ungestört zu schreiben. Zu dieser Jahreszeit gab es nur wenig Gäste. Nach Baldwins eigener Einschätzung war er der erste Schwarze in dem kleinen Walliser Bergdorf. Dass er wahrscheinlich eine «Sehenswürdigkeit» sein würde, davor war er gewarnt worden. Dennoch überraschten und trafen ihn die oft durch Unwissenheit verletzlichen Reaktionen der Bevölkerung ihm gegenüber. Seine Erfahrungen führten ihn zu einer umfassenden Reflexion über rassistische Diskriminierung, auch in seiner Heimat, den USA, die er in dem Essay Stranger in the Village festhielt und 1953 publizierte.

Ausschnitt aus der Verfilmung von Pierre Koralnik von 1962 «Un étranger dans le village» mit James Baldwin.

Gleich zu Beginn der Ausstellung begegnet uns der Schriftsteller in der Verfilmung Stranger in the Village von Pierre Koralnik (*1937) aus dem Jahr 1962. Zu Bluesklängen trägt Baldwin seinen Text vor der verschneiten Landschaft Leukerbads vor. Der Film ist Ausgangspunkt der Ausstellung, die sich an Zitaten aus Baldwins Essay orientiert. Seine Worte haben nichts von ihrer Relevanz verloren. Rassismus und Diskriminierung sind nach wie vor in der Gesellschaft verankert, abwertende Kommentare, verbale, manchmal auch körperliche Gewalt. So amüsierte sich noch in diesem Jahr eine Zürcher Zunft am Sechseläuten mit Blackfacing.

Vincent Kohler, «Schokokuss», 2012, im Hintergrund Denise Bertschi, «Neutrality as an Agent. Please ensure the gate is properly closed…», 2018

Baldwins Gedanken sind Inspiration für viele Kunstschaffende. Wenngleich Kolonialwaren etwa Kaffee, Schokolade oder Baumwolle nicht mehr von versklavten Menschen geerntet und verarbeitet werden, herrschen immer noch ungleiche Machtverhältnisse vor. Die Skulptur Schokokuss von Vincent Kohler steht für Rassismus in Alltagsobjekten. Durch die Vergrösserung hinterfragt der Künstler das Unbehagen angesichts des ursprünglichen Namens, der teilweise bis heute fortbesteht.

James Bantone, «Fool of the Month», 2022, C-Print.

Um von den Bewohnern in Leukerbad akzeptiert zu werden, versuchte Baldwin zu lächeln im Sinne von «Lächle, und die Welt lächelt zurück», wie er schreibt. Aber es funktionierte nicht. Er blieb der Fremde im Bergdorf.

Es sei ein Grundrecht als Mensch anerkannt zu werden, schrieb Baldwin und verteidigte dies während seines gesamten Lebens. Immer wieder wies er darauf hin, dass die Liebe wichtiger sei als die Hautfarbe. Es war für ihn der einzige Weg, eine Gesellschaft auf der Basis von Gleichberechtigung und Respekt aufzubauen.

Seine eigenen Erfahrungen mit Rassismus verarbeitet der in Genf und Zürich lebende Künstler James Bantone (*1992) mit verstörenden Bildern, etwa Porträts von Menschen mit Prothesen lachender Gebisse wie etwa in Fool of the Month (Narr des Monats). Es ist ein gruseliges, erstarrtes Lachen, ein Lachen der Verteidigung und nicht der Freude.

Die farbige Paillettenwand (im Hintergrund) von Olga Titus konfrontiert Marlene Dumas Gemälde «Indifference» (linke Seite). Im Vordergrund von Igshaan Adams, «Klip Gooi (Stone Throw)ii», 2021. Für Baldwin war es befremdlich, dass in Leukerbad immer wieder wildfremde Menschen ungefragt an seinem Haar zupften.

Olga Titus (*1977) ist als Tochter einer Bündnerin und eines malaysischen Vaters indischer Abstammung im Thurgau aufgewachsen und lebt heute in Winterthur. Mit ihrem biografischen Hintergrund hat sie einen geschärften Blick für Unterschiede und Gemeinsamkeiten der verschiedenen Kulturen. In ihren Arbeiten spielt sie gerne mit den nationalen Klischees, wie die funkelnde Paillettenwand zeigt, auf der sie einen Bilderkosmos aus Folklore, Bollywood-Exotik, Werbung und Computergame-Ästhetik erschafft.

Namsa Leuba, Power, aus der Serie Zulu Kids, 2014, Inkjet Print

Die Fotografin Namsa Leuba (*1982), Tochter einer guineischen Mutter und eines Schweizer Vaters, studierte Kunst in der Schweiz und in New York. Schon als Kind interessierte sie sich für die animistische Seite der guineischen Kultur. In ihrem künstlerischen Schaffen konzentriert sie sich hauptsächlich auf die afrikanische Identität aus westlicher Sicht.

Zum Ausstellungskonzept

Die Ausstellung Stranger in the Village wurde von einem Museumsteam ohne Rassismus Erfahrung konzipiert. Um sich für das Thema zu sensibilisieren, nahm das gesamte Kunsthausteam an mehreren Diversitätsworkshops teil. Die Kuratorin Céline Eidenbenz und die Kunstvermittlerin Laura Arminda Kingsley arbeiteten eng zusammen und wurden von einem Advisory Board unterstützt. Dieses beratende Komitee, bestehend aus Personen unterschiedlicher Fachbereiche und Hintergründe, begleitet die Ausstellung auch weiterhin. Es wird betont, dass es um eine Sensibilisierung geht, nicht um die Frage «bin ich eine Rassistin oder ein Rassist», sondern vielmehr: «Wie erlange ich ein Bewusstsein für meinen eigenen Rassismus?»

Alle Bilder vom Aargauer Kunsthaus zur Verfügung gestellt

Bis 7. Januar 2024
«Stranger in the Village. Rassismus im Spiegel von James Baldwin» im Aargauer Kunsthaus, Aarau, mehr zur Ausstellung und zum Rahmenprogramm siehe hier

Zur Finissage erscheint ein Werkkatalog mit zahlreichen Abbildungen sowie ein Reprint des Textes «Stranger in the Village», ergänzt durch Essays (Deutsch/ Französisch)

James Baldwin, «Fremder im Dorf, ein Schwarzer New Yorker in Leukerbad», in deutscher Übersetzung, édition sacré, Zürich, 2012 (auch erhältlich an der Kasse des Aargauer Kunsthauses)

Zum Thema s.a.
Ruth Vuilleumier, Zürichs koloniale Vergangenheit
Maja Petzold, Für gleiche Rechte und Chancen

 

Rabatt über Seniorweb

Beim Kauf einer Limmex-Notruf-Uhr erhalten Sie CHF 100.—Rabatt.

Verlangen Sie unter info@seniorweb.ch einen Gutschein Code. Diesen können Sie im Limmex-Online-Shop einlösen.

Beliebte Artikel

Mitgliedschaften für Leser:innen

  • 20% Ermässigung auf Kurse im Lernzentrum und Online-Kurse
  • Reduzierter Preis beim Kauf einer Limmex Notfall-Uhr
  • Vorzugspreis für einen «Freedreams-Hotelgutschein»
  • Zugang zu Projekten über unsere Partner
  • Massgeschneiderte Partnerangebote
  • Buchung von Ferien im Baudenkmal, Rabatt von CHF 50 .-

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein