Endlich erreicht uns die Sommerhitze. Sie erinnert mich an den Aufenthalt im westafrikanischen Mali vor etwas mehr als 40 Jahren. Dabei war die Hitze in der Hauptstadt Bamako eine ganz andere als die in der Sahelzone, wo auch das Reisen abenteuerlich-«heiss» war.
Das Übersee Museum in Bremen unterstützte zu Beginn der 1980er Jahre ein kulturelles Entwicklungshilfeprojekt in Zusammenarbeit mit der malischen Regierung. Die Touareg hatten während der Dürrezeit einige Jahre zuvor alles verloren. Damit ihr kulturelles Gut nicht in Vergessenheit geriet, sollte in Gao, am Rand der Sahelzone, das Musée du Sahel als Referenzzentrum aufgebaut und eine Ausstellung über das Leben der Tamaschek organisiert werden; Touareg gilt beim Nomadenvolk als Schimpfwort. Für dieses Projekt wurde mein Mann Jean-Pierre von 1980 bis 1982 nach Mali geschickt. Ich habe ihn begleitet.
Blick auf Bamako am Niger, mit zahlreichen Bäumen, 2010. Foto: Wikimedia Commons
Wir tauchten in eine für uns völlig fremde Welt ein. Ohne europäisches Team vor Ort lebte und arbeitete Jean-Pierre mit den Einheimischen zusammen. Bis alles geregelt war, wohnten wir in der Hauptstadt Bamako. Anfänglich in einer Hütte des maison des jeunes unter hohen Bäumen mit Flughunden, die in den Wipfeln umherschwirrten, später bei einer malischen Familie. Im Sommer war es feucht und bis 35 Grad heiss. Da verursachte die kleinste Anstrengung Schweissausbrüche. Wir liessen uns vom Schneider auf dem Markt einheimische Kleider auf der Tretmaschine nähen. Für Jean-Pierre einen sogenannten Boubou, einen weiten luftigen talarähnlichen Rock, und für mich einen Pagne, einen Wickeljupe, dazu ein Oberteil aus buntem Baumwollstoff.
Jean-Pierre im «Sonntags-Boubou». Ich koche in meiner afrikanischen Freiluftküche.
Das Projekt sah vor, bis fast zur algerischen Grenze zu fahren und unterwegs Gespräche mit den Tamaschek zu führen und zu fotografieren. Dafür galt es, erste Kontakte mit der malischen Regierung in Bamako zu knüpfen. Dabei realisierten wir, nicht nur das tropische Klima war gewöhnungsbedürftig, auch die Arbeitsweise, die viel Geduld, Diplomatie und Beharrlichkeit erforderte. Schliesslich stellte uns das Kulturministerium einen Landrover zur Verfügung, zwar ohne Metallplanken, aber immerhin mit einem Reserverad. Ohne den talentierten Chauffeur und den kundigen Tamaschek-Guide, die unsere Freunde wurden, wäre diese «mission» unmöglich gewesen.
Auf dem Weg nach Gao beeindrucken die Felsformationen bei Hombori, die «Hand Fatimas». Heute ist die Strecke von Bamako bis Gao asphaltiert. Foto: Wikimedia Commons, 2001
Die Reise in das Sahelgebiet, mitten in der Regenzeit zwischen August und September, war eigentlich viel zu gefährlich. Aber das Projekt erlaubte keinen Aufschub. Von Bamako bis Gao sind es rund 1’300 km. Die erste Hälfte der Strecke war asphaltiert, dann folgten Schotter und schliesslich Pisten. 1980 war ein besonders nasser Sommer. Die Strasse glich bald einem Fluss. Doch unser Chauffeur bewältigte sämtliche Herausforderungen mit viel Mut und Können. Nach drei abenteuerlichen Reisetagen erreichten wir Gao, wo wir im provisorischen Museumsgebäude die im Jahr zuvor gesammelten Ausstellungsobjekte in bestem Zustand vorfanden.
Überschwemmungen im Wadi gehen schnell zurück. Es gibt aber auch Sturzfluten und Menschen ertrinken in der Wüste. Man erzählt sich die Geschichte vom Grossvater und seinem Enkel, die sich auf Bäume retteten und nachts gegenseitig anschrien, um nicht einzuschlafen.
Bevor wir die Reise weiter in das Sahelgebiet des Adrar des Iforas antraten, empfahl uns der Tamaschek-Guide, einheimische Kleidung zu tragen, damit wir den Menschen nicht so fremd erschienen. Dies erwies sich bei der trockenen Hitze zwischen 35 und 40 Grad als ideal. Das weite hellblaue Kleid und der indigoblau gefärbte Schleier schützten mich vor Sonnenbrand und dem allgegenwärtigen Sand. Der auf die Haut abfärbende dunkelblaue Indigo, ein organisches Pigment, pflegte zugleich Haut und Haare, die weich und geschmeidig blieben. Nicht umsonst werden die Touareg das Blaue Volk genannt: Die Männer verhüllen das Gesicht mit ihrem indigoblauen oder weissen Turban bis auf die Augen, die Frauen bedecken das Gesicht mit dem Schleier nur nach Bedarf.
Unsere Crew: (v.l.n.r.) Der Chauffeur, ich, Jean-Pierre, eine Reiseteilnehmerin und ein Tamaschek. Die Kleidung der Nomaden schützt vor Sonne und Sand.
Die erste Station nach Gao war Kidal, damals noch militärisches Sperrgebiet. Wir konnten im Gästehaus des Gefängnisses übernachten. Für die Gefangenen gab es hier kein Entkommen. Wir wurden mit einem Essen bewirtet, das viel schärfer gewürzt war als in Bamako und in dieser Hitze gut schmeckte. Da die scharfen Gewürze die Verdauung anregen, fühlte man sich nach dem Essen leicht und frisch.
Lederzelt im Adrar des Iforas
Weiter ging es in die brousse des Adrar des Iforas. Da die Tamaschek nicht einfach irgendwo in der Wildnis übernachten, suchten wir für jede Nacht ein Nomadenlager. Die Ankunft dort gestaltete sich stets nach einem Ritual: Wir warteten im Abstand von etwa 50 Metern vor einem Campement im Auto. Wenn ein Bote erschien, öffnete unser Guide das Autofenster und es entspann sich ein langes Frage- und Antwort-Zeremoniell. Wenn dann die Familie einverstanden war, durften wir aussteigen und ein Mädchen brachte uns Kamelmilch, die ausgezeichnet schmeckt. Da die Frauen für das Aufstellen der Zelte zuständig sind, schlugen ein paar Mädchen Holzstangen für unsere Moskitonetze in den harten Sandboden ein. Unser Nachtlager unter freiem Sternenhimmel.
Mit dem Regen blüht die Wüste und Teiche entstehen in den Senken. Eine Tamaschekfrau holt Wasser, das für uns ungeniessbar ist im Gegensatz zum Grundwasser aus den Ziehbrunnen.
Während fast zwei Monaten waren wir im Adrar unterwegs. Neben der Hitze begleiteten uns sporadisch extrem starke Regenfälle, Sandstürme und überschwemmte Wadis, die wir grossräumig umfahren mussten. Es gab Sandböden mit stacheligen Akazien und daneben Teiche, Gräser, Büsche, sogar wildwachsende Hirse. Die diesjährige Regenzeit war für die Nomaden und ihre Kamelherden ein Segen. Dank unserem Tamaschek-Guide lernten wir die Menschen, ihre Lebens- und Denkweise kennen und schätzen.
Begrüssungsritual unter Tamaschek. Sie geben sich nicht die Hand, sondern streichen ganz sanft über die Hand des anderen und erspüren so die Grundstimmung, Freund oder Feind.
Bis zum heissesten Ort im Sahel, zum Salzbergwerk in Taoudenni, reisten wir nicht. Das Thermometer klettert dort bis auf 50 Grad. Nach Aussage unseres Guides arbeiten dort vor allem Strafgefangene. Im Tagebau schlagen sie mit einfachen Hacken Platten aus den Steinsalzschichten heraus, Barren von etwa 30 kg. Diese werden mit Kamel-Karawanen in weite Teile Westafrikas gebracht. Bei solchen Begegnungen stellten wir fest, dass das riesige Gebiet des Adrar wie ein Dorf ist. Jede Neuigkeit wird von Kamelreitern weitergetragen. Oft wussten die Familien im Voraus, dass wir ankommen werden. Ohne Telefon und Internet.
Kamelreiter unterwegs
Über ein Jahr später waren wir wieder in Gao. Im Dezember 1981 eröffneten wir die Ausstellung Vivre au bord du désert im provisorischen Musée du Sahel, einen Monat später im Nationalmuseum in Bamako. Durch den Regierungswechsel in Deutschland fand das Projekt ein vorläufiges Ende. Erst über 30 Jahre später gab es eine Fortsetzung, jedoch ohne uns.
Fotos: © Jean-Pierre Vuilleumier und Wikimedia Commons
Hier finden Sie die bisher publizierten Beiträge zur Sommerserie Heiss:
Linus Baur: Nichts wird so heiss gelebt…
Bernadette Reichlin: Von der Stirne heiss...
Eva Caflisch: Regensturm statt Sommerhitze
Josef Ritler: Heissi Marroni, ganz heiss
Maja Petzold: Fata Morgana oder «Lass dich nicht täuschen»
Peter Schibli: Heiss auf Eis