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Befreiungswege aus dem Leiden

Die sogenannten Erlösungsreligionen bieten verschiedene Wege der Befreiung aus dem Leiden an, und je nach Strömung innerhalb einer Religion werden bestimmte Handlungsweisen als besonders wertvoll oder heilsam, sündhaft oder verwerflich hervorgehoben. Betrachten wir mal den Buddhismus.

Buddha sagte dazu. « Geburt ist Leiden, Alter ist Leiden, Krankheit ist Leiden, Sterben ist Leiden, Kummer, Jammer, Schmerz, Trübsinn und Verzweiflung sind Leiden; vereint sein mit Unliebem ist Leiden, getrennt sein von Liebem ist Leiden; was man verlangt, nicht zu erlangen ist Leiden». (Aus Samyutta-Nikaya, 56, 11., übersetzt von Helmuth Hecker). Einiges ist leidensvoll, anderes nicht. Die gute Nachricht ist: Man kann sich vom Leiden befreien.

Letzthin ist mir ein 2012 auf deutsch übersetzter Artikel eines buddhistischen Mönchs, Bhikkhu Bodhi, aufgefallen, der mir gut zum Thema der Seniorweb-Weihnachtsserie 2022 «Feiern in dunklen Zeiten» zu passen scheint: Unter dem Titel «Achtsamkeit und Spiritualität in unserer Zeit» eröffnet er den Text mit folgenden Worten:

«Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Unvernunft der Menschen allmählich ein kritisches Mass erreicht, sodass nicht nur unsere kollektive geistige Gesundheit, sondern sogar unser Überleben gefährdet ist. Die Fakten mögen uns wohlbekannt sein, aber es ist nützlich, sie näher zu betrachten, um zu sehen, wo wir stehen: Es gibt immer mächtigere und wirksamere Waffensysteme, endlose Kriege, atemberaubenden technischen Wandel, eine instabile Weltwirtschaft, eine grösser werdende Kluft zwischen Superreichen und allen andern, Klimakatastrophen, Artensterben und Umweltzerstörung.» Und weiter: «Wir müssen Wege finden, um unser Haus in Ordnung zu bringen, und zwar schnell, andernfalls scheint der schnelle Niedergang unserer Zivilisation bis hin zum Zusammenbruch unvermeidbar.»(S. 251)

Aus seiner buddhistisch geprägten Perspektive sieht er zwei Befreiungswege aus dunklen Zeiten: Erstens werden Leidenserfahrungen gemindert, wenn wir uns von einer starren Identitätsvorstellung verabschieden und uns nicht als völlig abgegrenzt von andern betrachten. Denn das habe schädliche Auswirkungen:

«In Bezug auf die Dinge lässt es unmässige Gier und Gewinnsucht aufkommen. In Bezug auf uns selbst verführt es dazu, unser Selbstbild durch den Erwerb von Wohlstand und Status aufzuwerten. In Bezug auf andere Menschen erzeugt es Neid, Rivalität und Machtstreben.» (S. 253)

Wenn wir einsehen, dass wir ohne Bezug zu andern und zur Welt nicht existieren können, ist der erste Weg zur Überwindung des Leidens beschritten.

Der zweite Weg beginnt mit dem Schritt zur Tat, der aus der Erkenntnis des überlebenswichtigen Verbundenseins zu einem «aktiven Mitgefühl» führt. Dieses Mitgefühl zeigt sich im Willen zur Zusammenarbeit, zur tätigen Nächstenliebe und zum friedlichen Miteinander.

Bhikkhu Bodhi während eines Vortrags im Chuang Yen Mönchskloster in New York. Einige seiner Vorträge und Meditationskurse sind in Englisch auf Youtube zugänglich. (Screenshot aus Youtube von bs)

«Weisheit» als Verständnis unserer auf Verbundenheit gegründeten Identität und «Mitgefühl» als ein sorgendes und liebendes Handeln im Umgang mit andern und der Welt sind aus der Sicht Bhikkhu Bodhis die beiden Lichtquellen, die uns aus dunklen Zeiten herausführen können. Dabei können wir alle dort beginnen, wo wir gerade sind, denn Handeln findet immer innerhalb des eigenen Handlungsspielraums statt. Im privaten Kreis, im Berufsalltag, aber auch politisch können wir diejenigen Kräfte zurückweisen, die Hass und Zwietracht säen und diejenigen unterstützen, welche aus dem individuellen und kollektiven Leiden befreien und ein schönes Zusammenleben ermöglichen.

Textquelle: Bhikkhu Bodhi: Achtsamkeit und Spiritualität in unserer Zeit. In: Michael Zimmermann, Christof Spitz, Stefan Schmidt (Hrsg.): Achtsamkeit. Ein buddhistisches Konzept erobert die Wissenschaft – mit einem Beitrag S. H. des Dalai Lama. Bern 2013 (2. Aufl.), S. 251–260

Bhikkhu Bodhi hat zufälligerweise heute Geburtstag. Er wurde heute vor 78 Jahren, also am 10. Dez. 1944, in Brooklyn, New York, als Jeffrey Block, geboren, promovierte 1972 in Philosophie und reiste im selben Jahr nach Sri Lanka, wo er 1973 als buddhistischer Mönch (Bhikkhu) ordiniert wurde. Er lebte fast 25 Jahre in Sri Lanka als Mönch und wurde ein bekannter Übersetzer des Pali-Kanons bei der Buddhist Publication Society. Im Jahre 2002 kehrte er in die USA zurück, ist seit 2013 Präsident der buddhistischen Vereinigung der Vereinigten Staaten und lebt im Chuang Yen Mönchskloster in New York. Im Jahre 2008 gründete er eine Hilfsorganisation, um in armen Ländern Hilfe gegen den Hunger zu leisten und schulische Bildung zu fördern. Siehe unter  https://www.buddhistglobalrelief.org


In der Weihnachtsserie «Feiern in dunklen Zeiten» bereits erschienen:

Bernadette Reichlin: So viele düstere Wolken
Peter Steiger: Chic oder Schock – Christbaum verkehrt herum
Maja Petzold: Licht im Dunkel
Peter Schibli: Vom Himmel hoch…..
Sibylle Ehrismann: Verluste
Josef Ritler: Christkindli-Briefkasten
Ruth Vuilleumier: Goshas Hilfsprojekt

 

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1 Kommentar

  1. Der buddhistische Weg ist ein gangbarer Weg, für alle, die dafür offen sind. Es ist keine Religion, es ist eine Haltung, die man zum Menschsein in unserer Welt einnehmen kann. Man muss nicht Buddhist*in sein, aber Menschen, die logisch denken können und keiner Ideologie anhaften, sehen, dass, wenn sie es bei sich selbst ausprobieren, es funktioniert. Meditation und Stille kann helfen. Danke für den Beitrag.

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