Weihnachtsmärkte sind in der Adventszeit im In- und Ausland beliebt. Reisebusse bringen Menschenscharen nach Nürnberg, Dresden oder München, wo die Budenstädte unter einer Duftwolke von Glühwein traditionelles Spielzeug, Christbaumschmuck oder Backwaren anbieten. Allerdings sind sie in Deutschland 2021 wegen Corona abgesagt.
Die Vorweihnachtszeit ist reich an Ritualen, es beginnt mit dem täglichen Öffnen eines Türchens am Adventskalender, dem wöchentlichen Anzünden einer neuen Kerze auf dem Adventskranz, zwischendurch kommt noch Sankt Nikolaus. Mein eindrücklichstes Erlebnis im Advent hatte ich 1977 in Nürnberg am Christkindlesmarkt.
Christkindlesmarkt, Nürnberger Weihnachtsmarkt, 2008. Foto: Roland Berger.
Im Spätherbst trat ich eine Arbeitsstelle in Nürnberg an. Wie überall, und besonders als Ausländerin, muss man Formulare in einer kaum verständlichen Beamtensprache ausfüllen. Zudem wurde ich persönlich ins Amtshaus eingeladen.
Es war ein kalter grauer Morgen Ende November. Ich ging durch die Gassen, kaum Menschen unterwegs. Je mehr ich mich dem Hauptplatz näherte, umso stärker kam mir frischer Tannenduft entgegen. Auf dem Hauptplatz entdeckte ich Berge von Tannenästen und Teile von Holzbuden, die offenbar für den Weihnachtsmarkt angeliefert wurden. Ohne Hektik entlud man die Camions. Ich blieb stehen, schaute zu, atmete den Geruch der frischen Tannenzweige ein. Er war intensiv und wirkte fast wie eine Droge. Aber, ich war ja unterwegs und musste weiter aufs Amt.
Auf dem Rückweg hatte sich die Szenerie verändert. In fast mittelalterlicher Manier wurde gezimmert, gehämmert, gerufen, die rotweiss gestreiften Planen über die Verkaufsstände gezogen, die Tannenzweige angebracht. Bis heute sind in Nürnberg nur natürliche Tannenzweige als Dekorationsmaterial erlaubt, keine Plastikimitationen.
Christkindlesmarkt 2019, Nürnberg. Foto: Dalibri. Nürnberger Rauschgoldengel wurden früher aus Messingblech hergestellt. Sie gehören seit dem späten 18. Jahrhundert zum traditionellen Christbaumschmuck und stehen mit dem Puppenmacherhandwerk der Stadt in Verbindung.
Später am Abend hatte sich die Stimmung auf dem Marktplatz vollständig geändert. Menschenmengen drängten sich zwischen den bunten, hell beleuchteten Verkaufsständen durch. Ein intensiver Geruch von Glühwein und Rostbratwürsten lag in der Luft. Nürnberger Lebkuchen und Früchtebrot zierten die Auslagen, Holzspielzeuge, traditionelle Nussknacker, bunte Spanschachteln, glänzende Christbaumkugeln und Rauschgoldengel glitzerten im Licht. Beliebt auch die Nürnberger Zwetschenmännla, Figuren aus getrockneten Pflaumen mit dem fränkischen Spruch, der auf hochdeutsch etwa lautet: «Willst Du einen, der Dich nicht ärgern kann, dann kauf Dir doch einen Zwetschgenmann.»
Zwetschgenmännchen in allen Variationen am Nürnberger Christkindlesmarkt, 2006. Foto: Manfred E. Fritsche.
Weihnachtsmärkte gehen auf spätmittelalterliche Verkaufsmessen zurück. Sie ermöglichten den Bürgern zu Beginn der kalten Jahreszeit, sich mit Fleisch und winterlichem Bedarf einzudecken. Ab dem 14. Jahrhundert durften auch Handwerker wie Spielzeugmacher, Korbflechter oder Zuckerbäcker Verkaufsstände aufstellen.
In Nürnberg lässt sich die vorweihnächtliche Verkaufsmesse bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen. Aus dem Jahr 1628 stammt ein erster schriftlicher Nachweis auf einer bemalten Spanschachtel, die sich heute im Germanischen Nationalmuseum befindet. Eine Liste aus dem Jahr 1737 zeigt, dass fast alle Nürnberger Handwerker, 140 Personen, in der Budenstadt vertreten waren.
Weihnachtsmarkt in Nürnberg, Lithographie aus dem 19. Jahrhundert.
Ende des 19. Jahrhunderts verlor der Markt in Nürnberg seine Bedeutung und wechselte mehrmals den Standort in der Stadt. Erst in den 1930er Jahren wurde er durch die Nationalsozialisten wiederbelebt. Sie nutzten die traditionsreiche Veranstaltung, um ihren eigenen Jahresfest-Kalender und Nürnberg als des Deutschen Reiches Schatzkästlein zu propagieren. 1933 wurde der Christkindlesmarkt mit einer verklärend romantischen Feier eröffnet. Eine als Christkind verkleidete Schauspielerin, begleitet von zwei Rauschgoldengeln, rezitierte einen Spruch, ein Kinderchor sang und die Kirchenglocken läuteten. Während des Zweiten Weltkriegs gab es keinen Weihnachtsmarkt.
Eröffnungsprolog des Weihnachtsmarktes auf der Empore der Nürnberger Frauenkirche, 2009. Foto: Roland Berger.
1948 erstand der Weihnachtsmarkt wieder in der völlig zerstörten Altstadt. Zum Auftakt wurde das Vorkriegszeremoniell übernommen, aber mit einem neuen Prolog, der bis heute immer wieder angepasst wird. Seit 1969 wählt man keine Schauspielerin, sondern alle zwei Jahre eine Nürnbergerin zwischen 16 und 19 Jahren als Christkind, die den Eröffnungsprolog rezitieren darf. Doch in diesem Jahr fällt der Weihnachtsmarkt in Nürnberg wegen Corona aus, wie fast überall in Deutschland.
Titelbild: Zugang zum Weihnachtsmarkt in Nürnberg, 2014. Foto: Max Schrader.
Alle Bilder: Wikimedia Commons.
Hier können Sie die bis jetzt erschienenen Beiträge der Weihnachtsserie 2021 «Rituale» nachlesen:
Bernadette Reichlin: Blütenzauber jenseits aller Modetrends
Peter Schibli: Die Magie des Lichts
Peter Steiger: Vom Pöstler, vom Geld und von Lys Assia
Linus Baur: Rituale sind so wichtig
Beat Steiger: Wer wird wo geboren?
Eva Caflisch: Advent Advent
Jürg Bachmann: Woher kommt eigentlich der Weihnachtsmann?
Josef Ritler: Der Zirkus schenkte mir ein Weihnachtserlebnis
Judith Stamm: Alltägliches
… immerhin diese weihnachtsmärkte in Deutschland finden statt:
https://www.mdr.de/brisant/weihnachtsmaerkte-corona-100.html
und in der schweiz sieht man das mit der gefahr ja bislang eh weniger eng.