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Paul Klee und seine Engel

Engel regen unsere Phantasie von kleinauf an, das Christkind und seine Himmelswesen gehen im Verlaufe eines Lebens mannigfache Metamorphosen ein. So auch beim Maler und Grafiker Paul Klee. Sie haben ihn ein Leben lang begleitet und nicht mehr losgelassen. 

Als 5-jähriger Knirps zeichnete Paulchen, wie er von seinen Eltern genannt wurde, bereits ein Christkind mit Engelsflügeln, und im Laufe seines irdischen Daseins sollten noch über 80 Engelbilder folgen, viele von ihnen zwischen 1938 und seinem Todesjahr 1940 im Angesicht des heraufkommenden Zweiten Weltkriegs entstanden, anmutig die einen, grotesk, witzig bis fratzenhaft andere.

Paulchens Engel-Christkind mit geschmücktem Tannenbaum und einer Eisenbahn, 5-jährig, 1884

Luzifer oder der Teufel sind nicht weit, ein diabolisches Wechselspiel zwischen Angst und Zweifel, Sarkasmus und Heiterkeit beflügeln die himmlischen Wesen. Es sind unfertige, unvollkommene Geschöpfe mit Macken und Kanten, wie sie in der Geschichte der Kunst noch nie gemalt wurden. „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern Kunst macht sichtbar“, sagte Paul Klee (1879-1940) einmal.

In der Bibel heißt es in 1. Joh. 3,2: „Kinder Gottes sind wir; es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Das ist ein Blick, der mich im Herzen berühren kann: Ich als Individuum darf mich sehen in Beziehung zu Gott.“ Das meint die Bibel, wenn sie vom ‚Kind Gottes‘ spricht: «Ich darf mich sehen als ein Geschöpf des Schöpfers. Und seine Schöpfung dauert immer noch an, auch in mir. Ob ich einsam oder gesellig bin, ob ich ein schwaches oder starkes Ego habe, ob ich unglücklich oder glücklich bin – ich lasse es mir und meinen Mitmenschen gesagt sein: Es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden.“

 

‚Engel im Werden, Mensch im Werden› nennt Paul Klee ein Bild. Und das könnte von allen seinen Engeln gesagt werden. Sie wandeln sich. Sie sind noch werdende Wesen. Für ihn haben sie so Anteil an der unvollendeten Schöpfung. Für Klee liegt zwischen irdischer Welt und höchsten geistigen Welten eine Zwischenwelt. Und Klee ist überzeugt, da Einblick zu haben. Er selbst spricht vom „Reich der Ungeborenen und der Toten, das Reich dessen, was kommen kann, kommen möchte, aber nicht kommen muss.“

Engel im Werden, Mensch im Werden, 1934

Der Theologe und Publizist, Al Imfeld, äusserte sich 2002 im Beitrag „Vom Verschwinden der Engel und ihrer verdächtigen Rückkehr“ dazu wie folgt: 

„Falls Gott wirklich der Andere und Absolute ist, kann er gar nicht an die Menschen herantreten, weil er derart verschieden, ja, der absolute Kontrast zu ihnen ist. Gott und die Menschen benötigen Zwischenwesen und Vermittler. Das wird wohl der ursprüngliche Sinn der Engel gewesen sein. Der Islam betonte die Absolutheit Allahs so stark, dass Vermittler zwischen ihm und Menschen selbstverständlich waren. Wie hätte dieser Gott sich Menschen offenbaren können ausser durch Engel? So wurde der Koran vom Erzengel Gabriel entweder diktiert oder surenweise überreicht. Im Christentum wurde die Menschwerdung Gottes durch Engel sowohl angezeigt als auch seine Auferstehung von Engeln begleitet. Auch hier spielte Gabriel als Verkünder eine zentrale Rolle. Im Judentum verhielt es sich ähnlich, wenn auch weniger theologisiert. Jahwe erschien den zentralen Gestalten in allen Arten von Verkleidungen, die später als Engel gedeutet wurden.“

Zum Erscheinungsbild der Engel führte er weiter aus: „Vielleicht hat das Engelsphänomen einen Zusammenhang mit dem Element Licht. Wir wissen, wie wichtig Licht ist und darüber hinaus, wie alle mittelöstlichen Religionen dauernd über einen Wesenszusammenhang zwischen Gott und Licht nachsinnen müssten, weil stets die Gefahr existierte, das Licht selbständig zu machen und zur Gottheit zu erklären. Um einen Ausweg zu finden, geschah es, dass Engel zu Lichterscheinungen gemacht wurden. Licht, das von Gott ausging; Licht, das zu Menschen wie ein Bote kam. Licht und Engel wurden geradezu eins.“

„Angelus Novus“ oder der Engel der Geschichte

Angelus Novus gilt als eines der frühen Bilder in der von Paul Klee geschaffenen Motivgruppe von Engeln.  Nach Klees eigenen Worten handelt es sich um Geschöpfe, die sich erst im „Vorzimmer der Engelschaft“ befinden. Ihre Ausführung wird beschrieben als stenogrammartige Zeichenschrift mit der Wirkung einer sprudelnden, unbekümmerten Heiterkeit, in der der Witz über das Leid gesiegt hat. Auffällig an der gezeichneten Gestalt sind der übergroße Kopf, die emporgestreckten Arme, die nur leicht ein Paar Flügel andeuten, und die rudimentären Beine mit an Vogelfüße erinnernden drei Zehen.

Angelus Novus: 1920 geschaffene aquarellierte Zeichnung aus Tusche und Ölkreide auf bräunlichem Papier.
Inspiration für Walter Benjamin

In Walter Benjamins Aufsatz  «Über den Begriff der Geschichte«  beschreibt er den „Angelus Novus“ als Engel der Geschichte: „Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muß so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.“

Nach Benjamins Tod geht dieses Engelsbild in den Besitz Theodor W. Adornos über, der es dann Gershom Scholem vererbt. Heute hängt es im Israel Museum in Jerusalem.

Paul Klee verfasste zahlreiche Texte und Gedichte, wovon die folgenden beiden Zeugnis ablegen sollen:

Eine Art von Stille leuchtet zum Grund
Von Ungefähr
scheint da ein Etwas,
nicht von hier,
nicht von mir,
sondern Gottes.
Gottes!
Wenn auch nur Widerhall,
nur Gottes Spiegel,
so doch Gottes Nähe.
Tropfen von Tief,
Licht an sich.
Wer je schlief und der Atem stand
der …
Das Ende heim zum Anfang fand.

Paul Klee, 1914

Angelus descendens, 1918

Ich suche nach einem entlegenen
schöpfungsursprünglichen Punkt,
wo ich eine Art Formel ahne für Mensch,
Tier, Pflanze, Erde, Feuer, Wasser, Luft
und alle kreisenden Kräfte zugleich.
Der Erdgedanke tritt vor dem Weltgedanken zurück.
Die Liebe ist fern und religiös.

Paul Klee, 1916

 

 

 

 

 

 

 

 

Boris Friedewald: Die Engel von Paul Klee. Vorwort von Alexander Klee, Verlag Dumont,
ISBN 978-3-8321-9395-9

 

 

 

 

 

 

 

 


Hier finden Sie bereits veröffentlichte Beiträge der Serie „Weihnachtsgeschichten“, verfasst von den Redaktionsmitgliedern:

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